Walther-Schreiber-Platz - der Platz, den es nicht gab

Er ist eine Erfindung der Nachkriegszeit. Die Einmündung der Kaiserallee (1950 anläßlich der Einweihung des Bundeshauses in Bundesallee umbenannt) in den Straßenzug Rheinstraße - Schloßstraße, der ja unter verschiedenen Namen Berlin von der Glienicker Brücke bis zum Potsdamer Platz als ein Teil der Bundesstraße 1 in Südwest-Nordost-Richtung durchzieht und der auch den amerikanischen Bomberverbänden als Wegweiser in die Berliner Innenstadt diente - dieses Triangel wurde früher das "Rheineck" genannt. Die Apotheke in der Rheinstraße Ecke Schöneberger Straße heißt noch heute "Rheineck-Apotheke". Ähnlich wie der Ernst-Reuter-Platz - früher das "Knie" - seinen Namen erhielt, als man Plätze suchte, um die neuen, demokratisch gewählten Politiker zu ehren, wurde das ab 1953 in mehreren Phasen umgebaute Rheineck zum Walther-Schreiber-Platz, benannt nach dem Ernst Reuter im Amt folgenden Regierenden Bürgermeister.

Er war nie ein richtiger Platz und ist es heute erst recht nicht: kein Ruhepunkt, kein Verweilort, auf dem man "Platz nehmen" kann. Aber wer wollte schon auf dem Walther-Schreiber-Platz verweilen? Einzig die Säule mit den Schildern, die seinen Namen verkünden, steht auf einem kleinen Inselchen mitten im Verkehrsgewühl, auf dem höchstens einige Tauben platznehmen können. Die Entfernung der Straßenbahn mit ihren Schienenanlagen aus dem West-Berliner Straßenverkehr und die damit einhergehende Verbreiterung der Fahrdämme schuf mehr Platz für den Bus- und Autoverkehr und weniger für die Fußgänger. Es war die Zeit der "autogerechten" Stadtplanung. Die dreieckige Mittelinsel an der Rheinstraße Ecke Kaiserallee mit ihrem Zeitungskiosk war ein Ruhepol für Fußgänger auf ihrem umständlichen Weg in die Schloßstraße. (1945, kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee, reckte von hier aus eine sog. Stalinorgel ihre Rohre drohend gegen die Stadtmitte, kam aber zum Glück nicht zum Einsatz.) Heute befindet sich ganz in der Nähe, vor Ebbinghaus, der Eingang in die U-Bahnstation Walther-Schreiber-Platz, eine der Stationen der in den 70er Jahren gebauten U-Bahnlinie 9, die die lange geplante Verbindung zwischen Steglitz und Wedding herstellt. Wenn man von dort aus in die Schloßstraße gelangen will, so war und ist das eine aufwändige Angelegenheit. Ob der geplante erneute Umbau der Schloßstraße mit dem Verzicht auf die Mittelinsel (!) vor dem Forum Steglitz daran etwas ändern wird, kann zumindest bezweifelt werden. Warten wir's ab!

Der im Krieg zerstörte Häuserblock auf dem heutigen Hertiegelände beherbergte in großen, teuren Wohnungen mit Arzt- und Anwaltspraxen auch viele jüdische Bewohner, die ab 1937 ihre Wohnungen zwangsweise verlassen mussten, weil große Wohnungen für sog. Abrissmieter benötigt wurden, deren Häuser im Zuge der geplanten "Neugestaltung der Hauptstadt" abgerissen wurden. Die jüdischen Mieter wurden zu-nächst in Häuser jüdischer Eigentümer umgesetzt ("geschachtet" hieß Alfred Speers Spezialausdruck dafür); als dieser "Abriss" im Krieg auf andere Weise als vorgesehen geschah, wurde jüdischer Wohnraum auch als "Kastrophenwohnungen" gebraucht. Ab 1941 setzte dann die "unmittelbare Vertreibung der jüdischen Bevölkerung" ein, die im günstigsten Fall im Exil, im schlimmsten im KZ endete.

Im Erdgeschoss dieser Häuser befanden sich viele kleine Läden. Ich erinnere mich an das Seifengeschäft Losch, an ein Milch- und ein Papierwarengeschäft, eine Eisdiele, und natürlich an das Thalia-Tageskino, "Talja" oder "Flohkiste" genannt, eines der acht Lichtspielhäuser zwischen Rathaus Steglitz und Rathaus Friedenau, in das die Kinder sonntags für 30 bis 60 Pfennige in die Jugendvorstellung gingen und in dem in der ersten Nachkriegszeit oft genug der Film abrupt mit dem Beginn einer plötzlichen Stromsperre endete. Ein kleiner Rummel schlug vorübergehend seine Zelte auf dem Gelände auf, bis er und all diese Läden bzw. das, was von ihnen übriggeblieben war, 1953 mit dem Bau des neuen Warenhauses verschwanden. Auch von den alten Geschäften auf der östlichen Seite des Walther-Schreiber-Platzes besteht nur noch die Rheineck-Apotheke mit ihrer schönen Jugendstilinneneinrichtung; die meisten haben sich erst nach dem Krieg dort angesiedelt: das gediegene kleine Lederwarengeschäft etwa, eine luxuriöse Tabakwarenhandlung oder das Pfaff-Nähmaschinengeschäft, in dem die Zeit stillzustehen scheint. Sie klagen über die schäbige Nachbarschaft, kontinuierliche Mieterhöhungen und Geschäftsrückgang seit der Euro-Einführung. Radio-Rading hat seine Pforten geschlossen, und dem Nachmieter, einem immerhin gehobenen Schnäppchenladen ("Jeder Preis verhandelbar!") folgte ein totaler Abstieg mit einem echten Ramschladen.

Der auf Friedenauer Gemarkung liegende Walther-Schreiber-Platz ist sozusagen der Abschluss der "Friedenauer Einkaufsmeile" - oder das "Tor zur Schloßstraße". War in den Jahren vor dem Krieg die Rheinstraße mit ihren Traditionsgeschäften wie Radio-Rading, Friedebold, Papier-Graf, Café Wanke, der Wohltat'schen Buchhandlung, um nur einige zu nennen, und auch dem Billigwarenhaus Epa (später Kepa) die lebhaftere Einkaufstraße, während die Schloßstraße eher etwas verschlafen wirkte mit ihrer ewigen Baugrube, in die erst 1955 Wertheim gebaut wurde (wir Kinder schmulten oft neugierig durch den Jahrzehnte stehenden Bauzaun), so hat sich das seit den fünfziger/sechziger Jahren umgekehrt. Leineweber baute sein großes Geschäftshaus, die Warenhäuser entstanden, später das Forum Steglitz, und all das zog natürlich die Menschen und vor allem die Käufermassen an. Man könnte heute von einer "verkaufsfördernden" Stadtplanung sprechen.

Dieser Puffer zwischen den beiden Einkaufsmeilen soll nun auch entsprechend repräsentativ gestaltet werden. Ein inzwischen überholter Entwurf zeigt auf dem Gelände des im "Plastikstil" der damaligen Zeit gestalteten Warenhauses Held (später Hertie) einen nahezu majestätischen Bau, der sich mit Aufbauten über die Berliner Traufhöhe schmuggelt und damit dem Steglitzer Forum die Stirn bietet: hie Steglitz - hie Schöneberg! Neue Pläne zur Bebauung des Waren-hausgeländes sind bislang nicht in Sicht. Uneinigkeit im Vorstand der Grundstücksbesitzer, dem Konzern AMB-Generali, über die Rentabilität eines derartig großzügig geplanten Projekts verhindert rasche Lösungen. Waren es früher 13. Monatsgehalt, Weihnachts- und Urlaubsgeld, die die Käufer in die Einkaufsstraßen lockten, sollen heute "Shoppingmalls" diese Aufgabe übernehmen. Ob das wohl ausreicht? Die Schere zwischen sog. Kaufkraft und Luxusambiente klafft schließlich immer weiter auseinander. Sogar ein renommiertes Geschäft wie das Bekleidungshaus Ebbinghaus, das 1962 anstelle eines Flachbaus auf den Ruinen eines von Bomben zerstörten großen Wohnhauses errichtet wurde und den "Platz" an der Nordseite begrenzt, ist in Finanznot geraten und verhandelt mit Investoren, die ihnen wieder auf die Beine helfen und Arbeitsplätze retten sollen. Gegen diese Tatsachen nehmen sich die Umbaupläne der Bezirke ziemlich großspurig aus. Man darf gespannt sein, was da alles auf uns zukommt.

Sigrid Wiegand
Stadtteilzeitung


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Der Walther-Schreiber-Platz heute, Foto: Siegrid Wiegand


Blick aufs Rheineck 1953, Foto: Heimatarchiv Wolfgang Holtz


Kaufhaus Held im Bau, 1953, Foto: Heimatarchiv Wolfgang Holtz


Blick auf die Schloßstraße 1953, Foto: Heimatarchiv Wolfgang Holtz


Rummel am Rheineck, ca. 1950, Foto: Heimatarchiv Wolfgang Holtz