Schöneberger Wunderkammern

Ein Museum zum Anfassen

Hat Schöneberg auch ein Heimatmuseum? Ja, hat es. Es heißt Jugendmuseum und befindet sich in der Hauptstraße 40/42 unmittelbar vor der Theodor Heuss Bibliothek, direkt neben dem Hallenbad. Jugendmuseum deshalb, weil die Dauerausstellung „Wunderkammern - Wunderkisten“ zwar speziell für Kinder und Jugendliche konzipiert, aber nicht ausschließlich nur für sie aufgearbeitet wurde.
Das Konzept erinnert an die frühen fürstlichen Raritätenkabinette, in denen seit dem Mittelalter Dinge zusammengetragen wurden mit dem Ziel die Welt besser zu begreifen. Letzteres ist hier wörtlich zu verstehen. Die Exponate in den 54 übermannshohen Kammern, die an große Schrankkoffer erinnern, sind fast alle zum Anfassen; die Ausstellung selbst ist in drei Räumen wie ein begehbares Buch zu erleben.

Sie beginnt mit einem Einblick in die Vielfalt von Sammlungen, meist abgegeben von Schöneberger Bürgern. Hier steht ein mit buntem Sammelsurium gefüllter Tenniskoffer aus der Vorkriegszeit, den eine alte Frau dem Museum geschenkt hat gleich neben den Schätzen der dreizehnjährigen Paula. Für die eine hieß es dabei Abschied nehmen von alten Holzschlägern, Haarfön und Puderdosen; die andere läßt mit ihrer Sammlung von Barbiepuppen, Kunststoffpferden und Muscheln ein Stück Kindheit im Museum. Weiter geht`s mit Bergen von Lehrerakten, Labor- und Ackergeräten. Unter der Überschrift „Vor dem Müll gerettet - ein Hausmeister ruft das Museum an“ laden Kisten voller Pflanzentafeln, physikalischer Instrumente und ausgestopfter Vögel zum Stöbern ein. Dreitausend Jahre alte Tonurnen samt Inhalt führen den Besucher bis in die Vorzeit Schönebergs zurück. Rund tausend Jahre jünger ist die 1957 beim Stadtbad gefundene Rinderstatuette. Sie gilt als der bedeutendste archäologische Fund Schönebergs.

Der zweite Teil der Ausstellung beleuchtet die Entwicklung des Stadtteils in den letzten zweihundert Jahren und orientiert sich an Themen wie: Wohnen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, das Wachsen der Stadt mit Gas, Wasser und Licht, die Anfänge der Verkehrs- und Transportbetriebe oder das Bauen in der rasant größerwerdenden Stadt. Immerhin wuchs die Bevölkerung Schönebergs von 1875 bis 1905 von 7000 auf 140 000 Menschen!

Hier erfährt man auch Interessantes von der Berliner Unterwelt. Wußten Sie z.B., daß die Abwässer von Friedenau und Schöneberg bis zur Kanalisation 1904 in einem offenen Graben gesammelt und erst beim Charlottenburger Schloß in die Spree geleitet wurden? Diesen „schwarzen Graben“ wünscht sich sicher niemand zurück. Dann schon eher die Pferdepostwagen jener Zeit, die immerhin schon 12 mal (!) täglich durch die Stadt fuhren und Postämter und Briefträger belieferten. Ansonsten kann man in einem sorgfältig geführten Haushaltsbuch der Kriegsjahre 1916-18 blättern oder die selbstgemachte Puppe bestaunen. Ihr sieht man wie dem Holzstockpferd an, daß sie durch viele Kinderhände gegangen ist. Für die, die noch mehr wissen wollen, stehen im Keller die „Wunderkisten“ zum Weiterstöbern bereit, prall gefüllt mit Schätzen vom Puppenservice bis zur Fossiliensammlung - leicht zu finden durch Hinweistäfelchen in den Kammern, professionell archiviert durch Inventarlisten mit Querverweisen.

Daneben wird die Geschichte exponierter Bauten und Plätze, wie des „Prälaten“ erzählt und an herausragende Persönlichkeiten erinnert, berühmte wie Rosa Luxemburg und die Comedian Harmonists und weniger berühmte wie Werner Krause, der in den 1940ern die Tradition der Rollschuhrennen auf Friedenaus Straßen wieder belebt hatte. Manches zum Staunen findet sich über die Heimatländer der Einwanderer von den Hugenotten bis zu den Türken. Erschreckend ist das Kapitel über die Demütigungen der Juden im bayrischen Viertel zur Nazizeit. An deren Aufarbeitung hatte sich das Museum Schöneberg 1993-94 mit einer Projektreihe zum Thema „Nationalsozialismus und Judenverfolgung“ beteiligt . Gleich dahinter Kammern mit Fliegerschokolade, Kautschuklederjacke und Jimmy Hendrix LP, Hausbesetzerplakate und solche gegen den Atommüll. Immer erzählen ein paar Exponate eine ganze Geschichte und lassen Raum für die eigenen Gedanken!

Zusätzlich ist ab dem 30. August die Ausstellung „revier im visier“ zu sehen. Sie beleuchtet zusammen mit rund 400 Schüler/innen das Zusammenleben der Menschen im Schöneberger Norden um die Potsdamer Straße und ist Teil 1 des Kulturprojektes „exCHANGE!-Museum gegen Fremdenfeindlichkeit“. Mehr dazu in der nächsten Stadtteilzeitung.

Ruth Wagner
ehrenamtliche Redakteurin

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