Serie: Frauen in Schöneberg: Henriette Schrader-Breymann,
Begründerin des Pestalozzi-Fröbel-Hauses

In unserer dritten Folge der Serie „Frauen in Schöneberg“ kehren wir sozusagen zurück in die Karl-Schrader-Straße und werfen einen Blick auf die unmittelbare Nachbarschaft von Agnes Hacker und ihre „Klinik von Frauen für Frauen“. Direkt neben der Klinik befand sich damals bereits eine Institution, die nicht nur uns Schönebergern gut bekannt ist, sondern auch international in der Pädagogik aufmerksame Beachtung findet: Das Pestalozzi-Fröbel-Haus (PFH).

Die Begründerin dieser Einrichtung war Henriette Schrader-Breymann, die sich ein Leben lang mit der Entwicklung und Erziehung kleinerer Kinder befasste. Dies war im ausgehenden 19. Jahrhundert eine recht ungewöhnliche Berufung, denn kleine Kinder wurden mehr oder weniger nur verwahrt, als „Bildungszeit“ wurde die frühe Kindheit gar nicht wahrgenommen. 1827 in Mahlum als Tochter einer Pastorenfamilie geboren, eröffnete sie bereits 1854 in Neu-Watzum eine Bildungsanstalt für Mädchen, die mit einem Kindergarten für die Dorfkinder verbunden war. Bereits hier war angelegt, was Henriette später im „großen Stil“ umsetzen konnte: Theorie und Praxis der Erziehungsarbeit zu verbinden, Kinder als eigenständige Persönlichkeiten wahrzunehmen und zu fördern und den Frauen, die die Erziehungsarbeit leisten, eine fundierte Ausbildung zu geben. Damit war sie ihrer Zeit weit voraus. Mit ihrem Konzept der „geistigen Mütterlichkeit“ liefert sie der gemäßigten Frauenbewegung eine theoretische Grundlage für die Einforderung des Menschenrechtes auf Bildung, Arbeit und freie Berufswahl auch für Frauen. In ihren pädagogischen Überlegungen findet sie zu-nächst Unterstützung in den Ideen Friedrich Fröbels, ihrem Großonkel. Fröbel gilt als der Vater der Kindergärten, er war neben Pestalozzi derjenige, der die Bedeutung der frühkindlichen Entwicklung für Bildung und Erziehung herausstellte. Seine Mutter- und Koselieder verknüpfen Spielen und Lernen auf anschauliche Weise und werden auch heute noch gesungen. Doch Henriette Schrader-Breymann empfindet Fröbels Lehre oft als „zu doktrinär, zu tüftelnd.“ So legt sie ihrer Pädagogik die ganze weibliche Praxisnähe bei und verliert nie das Kind aus den Augen: „...nur eine Frau kann das Eckige und Schwulstige, was Fröbel selbst hat, das gerippenhaft Mathematische in seinen Beschäftigungen hinwegnehmen und die Anmut geben, die unzertrennlich ist vom kindlichen Wesen.“

1872 heiratet Henriette den Juristen Karl Schrader, als dieser Direktor der Berlin-Anhalter Eisenbahngesellschaft wird, zieht das Paar nach Berlin. Im „Volkskindergarten der südwestlichen Friedrichstadt“ findet Henriette ein neues Betätigungsfeld für ihre Ideen. 1874 gründet sie gemeinsam mit ihrem Mann den „Berliner Verein für Volkserziehung“. 1880 erwirbt der Verein ein eigenes Haus in der Schöneberger Steinmetzstraße, dem wenig später ein Seminar für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen angeschlossen wird. 1883 kommt eine Haushaltungsschule hinzu, deren Leitung Hedwig Heyl, eine ehemalige Schülerin aus Neu-Watzumer Tagen, übernimmt.
1896 erwirbt Elisabeth Wentzel-Heckmann, die reiche Witwe eines Baustadtrates, für den Verein das Grundstück „an der Grenze zu Schöneberg“. Es entstehen nach den Vorstellungen Henriettes zwei Häuser: Haus I sollte Kindergarten, Hort, Kindergärtnerinnenseminar und Mädchenpensionat beherbergen, Haus II die Heyl´sche Koch- und Haushaltungsschule. 1908 kam unter Alice Salomon die erste „Soziale Frauenschule“ hinzu.

Henriette Schrader-Breymann erlebte die Eröffnung des neuen Hauses nicht mehr, sie starb 1899 nach längerer Krankheit. Ob Agnes Hacker ihr wohl hätte helfen können in ihrer modern ausgestatteten Klinik? Es wären ja nur ein paar Schritte gewesen, räumlich. Zeitlich waren es allerdings fast 10 Jahre, die die beiden trennten und die eine Begegnung unmöglich machten. Leider, denn wer weiß, was die beiden zusammen auf die Beine gestellt hätten: Henriette, die Pädagogin, und Agnes, die Ärztin. Vielleicht eine Klinik, in der kranke Kinder nicht von ihren Müttern getrennt werden müssten? Vielleicht hätten sie durch ihre räumliche Nachbarschaft auch ihre fachliche entdeckt, hätten Ideen ausgetauscht und sich gegenseitig „ausgeholfen“. Heute nennt man diese Art der Nachbarschaft; - Interdisziplinarität. Und heute wären auch Henriette Schrader-Breymanns Überlegungen zur Pädagogik hochaktuell, denn in Zeiten von PISA, in denen es anscheinend hauptsächlich um das Erreichen hochgesteckter Leistungsziele geht, ist die Frage nach dem eigentlichen Wert der Kindheit, dem bewusst auch Kindlichkeit anhaften kann, neu zu stellen.

Doris Kollmann,
ehrenamtliche Redakteurin

Die historischen Fotos stammen aus den Beständen des PFH-Archivs. Wir danken für die freundliche Genehmigung des Abdrucks.

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