Serie: Künstler im Kiez

Heike Silbernagel, Malerin

In der neuen Serie „Künstler im Kiez“ möchten wir Sie mit Künstlern bekannt machen, die heute hier im Kiez leben und arbeiten. Schöneberg hat eine lange Tradition als Ort künstlerischen Lebens und Wirkens. So war Friedenau in den 20er Jahren eine Hochburg der bildenden Künstler, es seien nur die Brücke-Künstler Schmidt-Rottluff und Pechstein oder die Bildhauerin Reneé Sintenis genannt, die wir in unserer letzten Folge der Serie „Frauen in Schöneberg“ ausführlich vorstellten.
Doch nicht nur die bildenden Künste blühten im Kiez, auch und gerade die Literatur hat ihren festen Platz im Stadtteil. So wohnten z.B. allein in der Niedstraße Schriftsteller wie Erich Kästner, Günther Grass, Paul Johnson und Günther Weisenborn. Doch nicht die Vergangenheit soll uns in dieser Folge beschäftigen, sondern die Gegenwart. Welche Themen sind es heute, mit denen sich die Kunst beschäftigt, welche Ausdruckformen finden die Künstler, wie sieht ihre Arbeit, damit ist auch der Arbeitsalltag gemeint, konkret aus?

Als erste soll in unserer Serie Heike Silbernagel vorgestellt werden, die als bildende Künstlerin in der Hähnelstraße im Friedenauer Kiez lebt und arbeitet.

Heike Silbernagel, geboren 1964 in Münster, war als Tochter eines Geologen mit der Familie eigentlich ständig auf Reisen. Bereits als Kind zeichnete sie sehr realitätsnah und wie sie selbst sagt, unermüdlich. Später folgte eine gründliche Ausbildung an der Fachhochschule Krefeld, dann die HdK Berlin. Hier verpflichtete sie sich zunächst unter Professor Stelzmann der akademischen, realistischen Malerei. Eine wichtige Zeit, in der die Wahrnehmung zum zentralen Thema wurde.

Dem Zeichnen ist sie bis heute treu geblieben, auch wenn sie hauptsächlich als Malerin nach außen tritt. Die großformatigen Werke, an denen sie zurzeit arbeitet, beeindrucken den Betrachter durch die Vehemenz ihres Ausdrucks. Wir werden konfrontiert mit stark vereinfachten, aber doch dem Realismus früherer Werke verbundenen Figuren, die uns ein ganzes Kaleidoskop menschlicher und spiritueller Zustände vorführen. Im Bildaufbau historischen Altarbildern angelehnt, sind sie von einer Kraft und Energie, dass dem Betrachter diese Bilder noch lange im Gedächtnis bleiben. Die Frage nach der Religiosität des Menschen ist gerade auf dem Hintergrund des so eindrucksvollen ökumenischen Kirchentages und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Diskussionen hochaktuell.

Wie kann eine Künstlerin, die sich so vollständig in ihrer Kunst wiedergibt noch gleichzeitig ein Familienleben führen und sich um Haushalt und die tausend Kleinigkeiten des Alltags kümmern? Heike Silbernagel sieht dies ganz prosaisch, denn hier unterscheide sie sich nicht von all´ den Frauen, die arbeiten gehen, ihre Karrieren verfolgen oder sich für Familienmitglieder einsetzen. „Absolute Priorität haben immer die Kinder“, sagt sie und räumt während unseres Gesprächs noch schnell die Küche auf, „Tag und Nacht malen ohne Punkt und Komma ist eben nicht drin, ich muss mich sehr disziplinieren, aber ich bin in der Fürsorge für die Familie nicht gefangen. Für die künstlerische Arbeit ist ein großes Maß an Freiheit nötig.“ Und dann, mit einem Blick auf die geschlossene Tür des Ateliers: „Wenn ich male, bin ich absolut allein. Kunst findet im sprachlosen Raum statt, der Schaffensprozess ist undramatisch. Es entsteht dabei ein Raum der Stille. Wirkliche Kunst ist radikal, aber sie macht kein Gewese.“

Trotz aller Vehemenz im Ausdruck und Rigorosität der Figuren, die Bilder Heike Silbernagels sind keine lauten Angriffe auf die Sehnerven wie vielleicht die eines Basquiat. Sie geben im Moment des Betrachtens das wieder, was die Malerin ihnen neben Farbe und Form beigegeben hat: die Stille.

Doris Kollmann
ehrenamtliche Redakteurin

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