Serie: Frauen in Schöneberg: Renée Sintenis (1888-1965)

„Wann sieht ein Walfisch wohl je ein Reh? Ach du! Renée!“
(Joachim Ringelnatz: Abschied von Renée, 1923)

Kennen Sie das beliebteste Pferdchen Berlins? Nein, es lebt nicht im Zoo oder Zirkus sondern steht in Friedenau und ist vollständig aus Bronze. Weil es aber so lebensecht und in seiner Anmut auch kindlich ist, liegt immer frisches Gras vor seinen Nüstern und der Rücken ist vom vielen Reiten ganz golden gescheuert. Das Pferdchen ist eine Arbeit der Künstlerin Renée Sintenis, nach der der Platz vor der Post benannt wurde und die in der Heylstraße in Schöneberg lebte und arbeitete. Renée Sintenis zählt zu den bedeutendsten deutschen Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Als eine der wenigen Frauen, die sich überhaupt der Bildhauerei verpflichteten, ist sie in ihrer Zeit eine absolute Ausnahmeerscheinung. Sie war die erste Bildhauerin, die in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen wurde.

Geboren am 20. März 1888 wächst sie in ländlicher Umgebung in Neuruppin als Tochter eines Juristen auf. Ihre Ausbildung erhielt sie an der Kunstgewerbeschule Berlin. Sie schuftet in dieser Zeit „wie ein Pferd“, macht überlebensgroße Figuren und kämpft mit der ungeliebten Malerei. Schließlich fällt sie in tiefe Depressionen, quält sich lange mit dem scheinbaren eigenen Unwert, bis sie zu einem eigenen Ausdruck findet: „Im Momente nun, als ich das erste Tier machte, da ging auch jenes innere Tor wieder auf, das so lange geschlossen blieb.“ In ihrem Ausdruck ist sie verwandt mit Künstlern wie Kolbe, De Fiori oder Huf, führt das skizzenhafte, lebendige Modellieren allerdings konsequenter weiter. In den 20er Jahren liegt der Höhepunkt ihrer Anerkennung, zahlreiche Porträts, Sportlerstudien und auch ihr berühmtes Selbstporträt von 1923 fallen in diese Zeit.

Ihre auffällige Gestalt („überragende“ 1,80 Meter), das ausdrucksstarke Gesicht, der Typus der neuen mondänen Frau, den sie zu verkörpern schien, haben ihrerseits viele Künstler, wie Kolbe, Nolde und natürlich ihren Mann, den Maler Emil R. Weiss, zu eigenen Werken angeregt.

Ihre Arbeit am Porträt lässt sich als impressionistisch beschreiben. Es ist überliefert, dass Sintenis die Porträtbüste des Dichters Ringelnatz in nur einer Stunde entwickelte und diese „Skizze“ dann auch als fertiges Werk gegossen wurde. Alle ihre Arbeiten wurden in der Gießerei Noack ausgeführt, der sie sich in größter Dankbarkeit verbunden fühlte. 1927 schreibt die Künstlerin: „Noack Vater hat mich ziselieren und patinieren gelehrt. Wir haben alle in der Werkstatt zusammen gearbeitet und sind immer miteinander zufrieden gewesen, haben Kriegsstulle und Zigarette zusammen gegessen und geraucht. Wir Künstler haben dieser Gießerfamilie viel zu danken...“ Die Gießerei Noack öffnet übrigens am Friedenautag (14.06.03) ihre Türen, ein Besuch lohnt sich sicher.

Durch ihre kleinformatigen Arbeiten und die Verbindung zu dem Galeristen Flechtheim, dessen Kunsthandlung die Nazis bereits 1933 schlossen, gab es in der faschistisch-monumentalen Kunst jener Zeit keinen Platz für sie. Ihre künstlerische Arbeit stagnierte in den Jahren nach dem Krieg, die letzten Lebensjahre der Künstlerin sind von schwerer Krankheit überschattet. Schon 1946 musste sie sich den Zeigefinger der rechten Hand amputieren lassen, eine Rückgraterkrankung zwang sie oft für Monate aufs Streckbett. Am 22. April 1965 stirbt Renée Sintenis im Alter von 77 Jahren, ihr Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof Dahlem, Berlin-Zehlendorf.

Renée Sintenis hat Berlin ein freundliches Gesicht gegeben, „der“ Berliner Bär vom Kontrollpunkt Dreilinden stammt von ihr und auch die goldenen und silbernen Bären, die Jahr für Jahr auf der Berlinale an internationale Filmstars verliehen werden. Selbst John F. Kennedy erhielt 1963 bei seinem denkwürdigen Berlinbesuch einen kleinen Sintenis-Bären. Am 26. Juni ist der Besuch genau 40 Jahre her. Ob Kennedy heute wohl einen dieser bunten Buddy-Bären mit nach Hause nehmen müsste? Sicher, die Bären erfüllen einen guten Zweck, das Geld ihrer Versteigerung geht direkt an Unicef , doch sie erscheinen mir mit ihrer genormten Figur und ihrer oft oberflächlichen Gestaltung nunmehr als seelenleere Werbeträger. Wie ganz anders die Sintenis-Bären. Bei aller Tapsigkeit drücken sie doch stets die Würde aus, die allen Tieren eigen ist und der Renée Sintenis in ihren Werken sensibel nachspürte.

Berlin hat diese große Künstlerin mit vielen Auszeichnungen geehrt, aber ihr Werk ist schwer zugänglich. Der Nachlass befindet sich in der Neuen Nationalgalerie und schlummert dort im Archiv. Im Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, sind in der derzeitigen Ausstellung zwei Plastiken von ihr zu sehen: Der Läufer Nurmi und das Selbstporträt von 1923. Hier fand 1984 die letzte große Sintenis-Ausstellung statt, damals noch mit Leihgaben aus Beständen Ost-Berlins. Das Georg-Kolbe-Museum plant für das nächste Jahr eine große Ausstellung mit Sintenis und zeitgenössischen Bildhauerinnen. Leider kann hier nicht auf die Gelder zurückgegriffen werden, die die Berlinale für die Bären abführen muss, diese gehen vollständig an die Neue Nationalgalerie. Es ist zu hoffen, dass man sich auch dort einmal der Künstlerin erinnert.

© Doris Kollmann, ehrenamtliche Redakteurin

Die Fotos sind teilweise dem Katalog „Renée Sintenis“, Georg-Kolbe-Museum 1984 (vergriffen), entnommen.

zurück zum Inhaltsverzeichnis