Serie: Frauen in Schöneberg: AGNES HACKER (1860-1909)

Plötzlich sehe ich sie überall, die Frauen auf den Plakaten, die so ganz anders aussehen als die üblichen Models der Werbung. Ihre Gesichter erzählen eine Geschichte, ihre eigene Lebensgeschichte.

Berliner Frauen, die unter schwierigsten Umständen ihr Leben meisterten, mutig neue Wege gingen und sich oft für andere einsetzten. Aber nicht nur historische Persönlichkeiten sind dabei, sondern auch Frauen, die heute „aus dem Rahmen fallen“, indem sie sich in Männerberufen behaupten oder wie Jenny de la Torre, dort helfen, wo andere schon längst wegsehen. Sie kümmert sich um die ärztliche Versorgung von Obdachlosen am Hauptbahnhof. Die Plakataktion „Frauen bewegen Berlin“ geht nun nach einem Jahr zu Ende, durchgeführt wurde sie von der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen in Kooperation mit den Berliner Verkehrsbetrieben. Grund genug für uns, nach Frauen zu forschen, die hier im Schöneberger Kiez Außergewöhnliches leisteten oder noch leisten, die vielleicht in unserer Nachbarschaft leben und uns Vorbild sein können und natürlich Mut machen, unser eigenes Leben und unsere Vorhaben voranzubringen, auch wenn der Wind manchmal stark von vorne pfeift. Viele dieser Frauen stehen nicht im Rampenlicht, ihre Arbeit sollte aber dennoch gewürdigt werden. Sollten Sie in ihrer Nachbarschaft eine Frau kennen, deren Arbeit und Leben in unserer Zeitung vorgestellt werden sollte, so melden Sie sich bitte bei uns.

Redaktion: Die Stadtteilzeitung
Doris Kollmann
Rubensstraße 28
12159 Berlin-Friedenau
Tel.: 854 09 533, Fax: 772 08 407
kollmann@stadtteilzeitungen.de

Agnes Hacker: „Der beste Arzt der Frau ist die Frau!“

Die erste Frau, die in unserer Serie vorgestellt werden soll, ist Agnes Hacker, die sich vor über 100 Jahren ihren Wunsch, Ärztin zu werden, erfüllte, obwohl damals Frauen an deutschen Universitäten nicht zugelassen waren und gegen oft absurde Vorurteile kämpfen mussten. Von Hildegard Weg-schneider, der ersten preußischen Doktorin in Philosophie, ist in diesem Zusammenhang ein sehr aufschlussreiches Zitat von Treitschke überliefert. Er antwortete auf ihr Ansinnen an seinen Seminaren teilzunehmen, mit dem Ausruf: „Ein Student der nicht saufen kann… niemals!“
Agnes Hacker studierte und promovierte schließlich 1897 in der Schweiz, spezialisierte sich als Chirurgin, ein Zweig der Medizin, der noch heute eine wahre Männerdomäne ist. Sie war die erste Polizeiärztin Berlins und gründete 1908 mit Kolleginnen die erste Poliklinik für Frauen in Berlin, aus der dann die „Klinik weiblicher Ärzte für Frauen“ in der Karl-Schrader-Strasse 10 hervorging. Erst in diesem Jahre 1908 öffneten deutsche Universitäten als letzte in ganz Europa ihre Pforten für weibliche Studierende. Zu dieser Zeit hatte Agnes Hacker bereits den Operationssaal der Klinik mit den modernsten Geräten ausgestattet, so dass ihre Patientinnen nach den neuesten Erkenntnissen behandelt werden konnten. Das Geld dazu kam überwiegend aus dem Privatbesitz der Ärztinnen. Den größten Teil steuerte Agnes Hacker bei. Wie sehr ihr das Schicksal der Klinik am Herzen lag, zeigt auch, dass sie mit der Einweihung der neuen Räumlichkeiten ihre Wohnung in der Klinik nahm und ihr als „Hausärztin“ vorstand.

Neben ihrer praktischen Arbeit als Ärztin engagierte sich Agnes Hacker auch politisch und sozial, so war sie leitende Ärztin der Bethabara Beth Elim Stiftung in Weißensee, die sich um aus der Haft entlassene Prostituierte kümmerte. In Vorträgen und Kursen klärte sie junge Mädchen über medizinische Fragen auf und versuchte als Sportlerin und Abstinenzlerin den jungen Frauen diese Lebensweise nahe zu bringen. Als Mitglied zahlreicher Vereine war sie politisch immer eine Mitstreiterin der frühen Frauenbewegung. Sie vertrat als Ärztin die Ansicht, dass der beste Arzt der Frau die Frau ist.
Ihrer eigenen Erkrankung erlag Agnes Hacker am 6. September 1909 im Alter von nicht ganz 50 Jahren in Berlin. Für die „Klinik weiblicher Ärzte für Frauen“ bedeutete ihr Tod eine deutliche Zäsur.
Heute erinnert in der Karl-Schrader-Straße 10 nichts mehr an Agnes Hacker oder die Klinik, vergeblich suchen wir eine Gedenktafel oder eine nach ihr benannte Straße in Schöneberg. Die Friedenauer Hackerstraße ehrt den Kommunalpolitiker und Mitbegründer des Friedenauer Bauvereins Johann Carl Hacker (*1811, † 1892). Bis nach Altglienicke müssten wir uns bemühen, auch Franziska Tiburtius wird hier geehrt, sie war ebenfalls Mitbegründerin der Frauenklinik. Vielleicht hätte den beiden eine Nachbarschaft zu so schönen Straßen wie Tulpenweg oder Kirschbaumstraße gefallen, ein Platz, der im Zusammenhang mit der Lebensleistung dieser Frauen stände, wäre allerdings eine sinnvollere Art der Ehrung.

In unmittelbarer Nachbarschaft zur Karl-Schrader-Straße 10 befinden sich mehrere sozialkulturelle Einrichtungen wie die Kiezoase des Nachbarschaftsheim Schöneberg und das Pestalozzi-Fröbel-Haus. Wer hier also Kurse besucht, im „Netti“ im Internet surft oder sich im Café der Kiezoase entspannt, kommt unweigerlich am Haus Nr. 10 in der Karl-Schrader-Straße vorbei. Vielleicht denkt er oder sie dann kurz an Agnes Hacker und ihre „Klinik weiblicher Ärzte für Frauen“, denn auch das gehört zur Nachbarschaft im Kiez, dass man sich erinnert und diese geschichtlichen Orte mit Leben füllen kann.

© Doris Kollmann
ehrenamtliche Redakteurin Stadtteilzeitung

zurück zum Inhaltsverzeichnis