Serie: Künstler im Kiez
Staszek Czerny, Bildhauer

Als ich das Atelier von Staszek Czerny verließ, war ich satt. Nicht nur dank des Salates, den es netterweise zum Abendbrot gab, sondern satt von den Geschichten, die Staszek wie glitzernde Spinnfäden um seine Bilder webte. Unermüdlich spann er den einmal aufgenommenen Faden und schaffte es, nicht nur zu jedem seiner Werke eine Geschichte zu erzählen, sondern diese auch miteinander zu verknüpfen.

"Dieser Mann", wie er sich selbst gern nennt, dieser Mann also schnitzt ins Holz große und kleine Gestalten. Geister, die ihm an bestimmten Wendepunkten in seinem Leben begegnen. Und bei einem Leben, wie es Staszek Czerny führen musste (oder durfte, wie er wahrscheinlich sagen würde) gab es viele Geister und davon gute und böse.

Als Vierjähriger zusammen mit der zweijährigen Schwester Janina vom Vater in ein katholisches Kinderheim gesteckt, wächst Staszek unter der Obhut der Ordensschwestern auf, nicht ahnend, dass Vater und Mutter nicht tot, sondern ganz lebendig in der Nähe lebten. Die bittere Zeit des Nachkriegsdeutschland wird in den Schilderungen Czernys wach: traurige Schicksale, Kriegswirren, Auffanglager, verstreute und zerrissene Familien, Flüchtlingselend. Er erzählt: "Für mich war die Zeit im Waisenhaus eine bittere Zeit, die Schwestern erscheinen mir im Rückblick als Erziehungsamazonen."

Seine persönlichen Erfahrungen verarbeitet er in den schwarz-weißen Figuren "die Flehende" und "die Knieende". Hier findet ein tragisches Familienschicksal auf dem Hintergrund der Zeitwirrnisse eine in Blech geschnittene Form.

Gut dass "dieser Mann" über die Jahre hinweg seinen Erlebnissen und Begegnungen eine Form geben konnte. Seit 1974 lebt er in Berlin, seit einigen Jahren hat er das Atelier in der Martin-Luther-Straße über der Jugendkunstschule, in der er auch unterrichtet. Nicht nur böse Erinnerungen stehen da in seinem Atelier, auch lustige und frohe. Und sehr kraftvolle, wie das neueste Werk, dass mich am meisten beeindruckte: Eine archaische Gottgestalt, aus deren Kopf Hände wachsen, rechts und links vertauscht, dem keltischen Gott Cerunnus nicht unähnlich, aber eben ein Werk Staszek Czernys und damit einmalig. In seiner Malerei nimmt er die flächige Ar-beit seiner Reliefs vorweg, seine Formensprache, ja selbst den Ausdruck finden wir in den Figuren wieder.

Und das ist das eigentliche Rätsel dieses Besuchs im Atelier Czerny: Wie kann ein derart vielschichtiges Werk (in der Form, in der Wahl der Mittel und über die Jahrzehnte natürlich auch in der Qualität) dennoch diesen Eindruck von Kohärenz hinterlassen?

Vielleicht hilft hier die Metapher des Spinnennetzes. Man kann es architektonisch vom Zentrum her verstehen, gebaut wird es von der Peripherie, obwohl kein Faden wie der andere ist, ergeben sie doch ein Bild: das Netz. Und das wichtigste: Der Spinne ist dies vollkommen egal, sie tut, was sie tun muss; weben. Dies beschreibt die Kunst Staszek Czernys vielleicht am besten: Er ist absolut authentisch.

Wer sich für Bildhauerei oder theoretische Betrachtungen zum Thema Kunst interessiert, oder wer einmal den archaischen Gott im Original sehen möchte, der sei herzlich eingeladen, das Atelier Czerny zu besuchen.

Staszek Czerny öffnet sein Atelier von November bis Dezember regelmäßig jeden Samstag von 13 - 19 Uhr, Martin-Luther-Straße 46, 10779 Berlin, 3. Stock

© Doris Kollmann
Stadtteilzeitung Schöneberg


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