Kann ich hinter die Fassaden schauen?
Ich gehe gern spazieren, flanieren hieß das früher und ist eine wenig verbreitete "Kunst" heutzutage, denn sie ist zweckfrei. Ich gehe nicht von - nach und auch nicht zu jemandem. Ich gehe einfach. Und dann schaue ich. Auf die Fassaden der schönen Bürgerhäuser, in die Vorgärten, manchmal in die erleuchteten Zimmer, manchmal in die Gesichter der Passanten.
Ich denke mir kleine Geschichten aus, die handeln von dem Ehepaar mit dem kranken Hund, von der Schreibmaschine, die jemand unter die Brücke gestellt hat und die nach zwei Tagen schon völlig zertreten ist. Manche Gesichter sind leer und viele Häuser sind grau. Ein Haus ist nie leer, es lebt und schäumt geradezu über, von den Bewohnern, von Kindern in allen Altersklassen und auch von Müll. Statt gepflegter Vorgärten findet sich hier ein geflickter Jägerzaun, der hilflos etwas einzäunt, was nicht eingezäunt werden will. Zwecklos so etwas hier aufzustellen, tausend Bälle im Lauf des Jahres dagegen getreten, tausend Jugendliche, die sich trotz der spitzen Pfähle draufsetzen, und aus den Chipstüten essen, die man praktischerweise gleich gegenüber billig kaufen kann. Praktischerweise landen auch die leeren Tüten hinterm Zaun, bei den anderen.

Hier ist es nicht ordentlich, hier ist es nicht sauber und gepflegt, aber - hier ist es lebendig. Auch abends noch. Und dieses Haus erzählt nicht nur eine Geschichte, es quillt über vor Geschichten. Es ist das Haus am Dürerplatz. Es wäre an der Zeit, einige der Geschichten zu erzählen.

© Doris Kollmann,
Stadtteilzeitung Schönberg


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