Miefiger Ramsch oder Stadtteilkultur
Der Flohmarkt vor dem Schöneberger Rathaus
Es gibt Leute die Flohmärkte lieben und es gibt solche die sie für verzichtbar
halten - das ist Geschmackssache und oft auch eine Frage des Geldbeutels.
Findet der Budenzauber aber jedes Wochenende vor dem eigenen Schlafzimmerfenster
statt, reduziert sich die Fangemeinde unter den Anwohnern sehr schnell auf
die eingefleischten Schnäppchenjäger und diejenigen, die direkt am Markt
verdienen. Die sind am Schöneberger Rathaus in der Minderheit.
Seit April 1999 erhitzt der Trödel hier die Gemüter. Es wurden Bürgerinitiativen
dafür und dagegen gegründet, Unterschriften gesammelt, Petitionen geschrieben,
Anfragen an das Bezirksamt gestellt. Genutzt hat es nichts, oder nicht viel.
Der Markt findet nach wie vor jeden Samstag und Sonntag statt, den ganzen
Tag. Das heißt frühmorgens anfahrende Autos, Hupen, Bremsen, Tische raus
auf den Asphalt, Wagentür auf - Wagentür zu, laufende Motoren, Parkplatz
suchen, stop and go. Oder die Händler kommen mit der U-Bahn und ziehen die
Ware in Koffern und Kisten mit kleinen Rädchen über`s Trottoir. Auf jeden
Fall ist es mit der Nachtruhe vorbei. Mit der guten Wohnlage, die auch die
Möglichkeit der Erholung am Wochenende beinhaltet, auch.
"Piefig" finden die Betreiber und Fürsprecher des Marktes den Protest der
Bürger und egoistisch. Man hätte schließlich auf alle Einwände reagiert:
die Anfangszeit sei von 7.00 auf 8.00 Uhr verlegt worden, die Freiherr vom-
Stein-Straße werde teilweise gesperrt, überquellende Mülltonnen kämen seit
eine Firma professionell säubert auch kaum noch vor und das Pieseln in den
Grünanlagen und Hausfluren könne schließlich nirgendo hundertprozentig unterbunden
werden. Nötig sei es hier nicht, es wurden Toiletten aufgestellt. Das stimmt
alles, schafft das Problem aber nicht aus der Welt. Das sehen die Grünen
genauso. Die SPD will hier weder die urbane Vielfalt behindern noch die Anwohner
verprellen und beruft sich auf die Auflagen. Der politische Mentor des Flohmarktes,
die CDU, sagt, „der Markt sei für Schöneberg eine kulturelle Attraktion,
außerdem bringe er jährlich ca. 150 000 Euro in die marode Stadtkasse“. Warum
dann keine zahlende Alternative zum „Ramsch“-markt? fragen die Anwohner.
Der Vorwurf an sie, den Platz als die Verlängerung des eigenen Wohnzimmers
zu betrachten und am liebsten nur leer sehen zu wollen, greift nicht. Der
Wochenmarkt Dienstags und Freitags wird geliebt und - das ist das Zauberwort
- von den Bürgern hier genutzt. Man verweist in diesem Zusammenhang auch
auf die historische Bedeutung des John-F.-Kennedy-Platzes und den Wunsch
auf eine niveauvollere Nutzung.
Vielleicht wie in Charlottenburg, wo es seit kurzem einen Viktualienmarkt
nach Münchener Vorbild gibt. Und wenn es denn unbedingt dieser Trödel sein
muß - doch bitte nicht an jedem Wochenende. Es dürfte dadurch kaum ein Engpaß
entstehen. Berlin hat immerhin 50 Wochenendflohmärkte vorzuweisen, der Rathauströdel
ist nicht der einzige im Bezirk. Aber mit der beliebteste, besonders bei
den Touristen, meint der Betreiber. Die Begrenzung auf die Samstage wird
im Hinblick auf die finanziellen Einbußen abgelehnt. Bliebe nur der Umzug.
Das wäre auch im Sinne der Organisatoren; der Rathausplatz sei ohnehin nicht
groß genug. Aber wohin? Die stillgelegte Radrennbahn am Sachsendamm ist zu
klein und würde weniger Umsatz bedeuten und auf dem Flug-hafen Tempelhof
müßte in einen teueren Sicherheitszaun investiert werden. Bis jetzt ist noch
keine Al-ternative gefunden worden. So werden die einen das Flair hier weiter
genießen und die anderen die Schäbigkeit bedauern auf diesem schönen Platz.
Ruth Wagner
Ehrenamtliche Redakteurin
Fotos: Bärbel Schneider
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