Ein Leben in Friedenau
Erinnerungen an Kindheit und Jugend in der Kaiserallee von 1926-1946

"Der August 1939 war ein wunderschöner Spätsommer" ist der Titel der Autobiografie einer Frau, die in Friedenau aufgewachsen ist, und den 2. Weltkrieg und den Neubeginn nach Kriegsende in der Bundesallee (damals noch Kaiserallee) erlebt hat. Gemeinsam mit der inzwischen 82-Jährigen hat die freie Journalistin Susanne Ahrens deren Erinnerungen aus dieser Zeit wiederbelebt, ihre Erzählungen aufgenommen und zu einem kleinen Buch ausgearbeitet. Am 22. April 04 um 15. 00 Uhr wird sie im Nachbarschaftsheim Schöneberg, Holsteinische Straße 30, Passagen aus diesen Erinnerungen vorlesen.

Das Mädchen Ellengard Schultze wird 1922 im Forsthaus Schulzendorf, Kreis Deutsch-Krone/Westpreußen geboren, woher die Mutter stammt. Der Vater ist aus Berlin. Die konservativ deutschnational eingestellte Familie, zu der noch Ellengards jüngerer Bruder Wilfried gehörte, zieht 1926 von der Rubensstraße in die Kaiserallee.

Die Erzählerin beschreibt eine zunächst "ganz und gar sorglose Kinderzeit", die nach und nach von den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen beeinflusst wird.

Während des Krieges kann Ellengard noch das Abitur an der "Königin-Luise-Schule" ablegen; es folgen Arbeitsdienst, Kriegshilfsdienst und eine Ausbildung zur Apothekenhelferin in der Pallas-Apotheke. Glücklich über ihr bestandenes Examen, besucht sie mit einer Freundin ein Konzert des Kaiserquartetts, tags darauf ist sie mit den Folgen der Bombeneinschläge in der Kaiserallee konfrontiert. Sie erlebt die Zerstörung der Stadt insbesondere unter dem Aspekt, dass die Wege zur Arbeit und zu Freunden beschwerlich und gefährlich werden. Im Chaos des nahenden Kriegsendes muss sich die Familie schließlich – ohne eine Ahnung von der aktuellen und zukünftigen Situation zu haben - entscheiden, ob sie aus Berlin fliehen oder in ihrer Wohnung bleiben sollen.

In einem gelegentlich fast befremdlich lapidaren Tonfall werden die Auswirkungen der politischen Ereignisse auf den Alltag der Familie erzählt: "Der Kriegsausbruch hatte auf den Schulalltag erst mal die Auswirkung, dass wir in den Herbstferien zum Kartoffelbuddeln Richtung Osten geschickt wurden."

Vielleicht ist es gerade der scheinbar emotionslose Erzählstil, der den Leser an vielen Stellen besonders bewegt, so z.B. als Ellengard beschreibt, wie sie in den letzten Kriegstagen aufbricht, um nach ihrer Freundin Lilo zu sehen: "Bei Lilo im Haus sind die Russen entschieden aggressiver gewesen. Irgendetwas hatte wir ja alle. Nun nicht gerade Zyankali wie sie, aber Schlaftabletten oder so ein Zeug hatten wir alle in der Tasche. Schon während der Bombenangriffe. Immer in der stillen Hoffnung, wenn du das nun überlebst und irgendwo da unten in den Trümmern steckst, dass du das Zeug vielleicht noch runterschlucken und dich damit weiteren Qualen und Ängsten entziehen kannst. Ebenso, um sich Misshandlungen und Vergewaltigungen zu entziehen. Lilo hatte Zyankali genommen und ist noch vor dem Haus zusammengebrochen."

Grund für die Nüchternheit der Darstellung kann einerseits die zeitlichen Distanz zum Geschehen sein, andererseits auch die Tatsache, dass die aus heutiger Sicht entsetzlichen Erlebnisse gewissermaßen als Alltag erlebt wurden.

Eingeladen zu dieser Lesung mit anschließender Gesprächsrunde sind interessierte Zeitzeugen, aber auch jüngere Menschen. Der Eintritt ist kostenlos.

April 2004  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis