"Das Mädchen mit dem Perlenohrring" (Großbritannien/Luxemburg, 2003)
Gesehen im "Cinema am Walther-Schreiber-Platz":

Filmplakat (26267 Byte)Eigentlich weiß man gar nicht viel über den holländischen Maler Jan Vermeer, der im 17. Jahrhundert in Delft lebte und seine berühmten Bilder malte. Ein Schriftsteller hat sich von einem dieser Bilder, eben dem "Mädchen mit dem Perlenohrring", inspirieren lassen und sich eine Geschichte ausgedacht, "wie es gewesen sein könnte", und aus dieser Geschichte ist ein wunderbarer sinnlicher und erotischer Film entstanden, der einem stellenweise fast den Atem nimmt: Griet, die 16jährige Tochter eines erblindeten Delfter Kachelmalers, muß "in Stellung" gehen, weil die Familie verarmt ist, und sich im Haus des Malers Vermeer als Magd verdingen. Man sieht sie mit ihrem Bündel unter dem Arm durch die alte Stadt gehen, über Marktplätze und grachtenüberspannende Brücken. Die Kamera fängt Bilder der schönen Fassaden ein, von alten Holzbalken und Straßenbrunnen. In späteren Szenen sieht man die im Winter zugefrorenen Wasserwege, in denen das Eis aufgehackt wird. Man meint dabei zu sein, wie das Mädchen schüchtern, aber auch gelassen seinen Weg zwischen dem Volk auf den Gassen nimmt.

Griet ist bei aller Zurückhaltung auch ein starker Mensch, die weiß, was sie wert ist. Als sie den berühmten Maler kennenlernt, ist sie zwar verschreckt, aber auch neugierig, und er ist eingenommen von ihrem Interesse an seinem Metier und von ihrem züchtigen Liebreiz. Lange ist das erotische Spiel mit Tüchern und Hauben, mit herabhängenden oder zurückgelegten Bändern, mit dem Verbergen von Hals und Haaren, nicht mehr so sinnlich in Szene gesetzt worden (dessen Reiz sich auch die neuerdings wieder mit Kopftüchern spielende Generation junger Musliminnen wohl bewußt ist.) Als Tochter eines Künstlers hat Griet nicht nur sein Talent, den Blick für richtige Farben und Formen, geerbt, sie hat auch gelernt, seine Mitarbeiterin zu werden - ein Weg, den wir von vielen ehrgeizigen Vater-Töchtern kennen, die eben 'leider' keine Söhne sind; und nicht erst Arno Schmidt hat die Vorzüge der dem Mann zuarbeitenden Frau gepriesen... Und so entwickelt sich zwischen den beiden, dem Maler und der jungen Magd, ein unausgesprochenes, immer dichter werdendes, atemberaubendes Verhältnis, dessen Intensität um so mehr steigt, als es fast ausschließlich aus Blicken, Gesten, kurzen Anweisungen besteht (hervorragend: Scarlett Johansson, Colin Firth). Der innerlich brennende Mann hält sich zurück, und sie flüchtet sich in die Arme ihres Freundes, eines jungen Fleischerburschen, vielleicht, um sich aus der unmöglichen Situation zu retten, vielleicht auch, um nicht mehr die "ungepflückte Frucht" zu sein, als die der Gönner Vermeers, ein alter "Lebemann", sie begehrt und bedrängt. (Auch hier wieder ein sinnliches Versteckspiel zwischen im Hof hängenden Bettüchern!)

Letztendlich muß Griet das Haus verlassen - die Ehefrau des Malers wirft sie hinaus, weil sie die Faszination ihres Mannes für das Mädchen nicht mehr erträgt; in der Rolle der Ehefrau, die seine Kinder zur Welt bringt, kann sie nicht konkurrieren mit der intellektuellen, gleichzeitig aber auch begehrten Gefährtin.

Das alles spielt sich im Interieur der alten holländischen Bilder ab: dunkle Räume und Butzenscheibenfenster, schwere Möbel und Vorhänge, kleine Höfe, Katzen und Hunde; viele Zitate: die Frau am Fenster, die Gesellschaft am Tisch - und die Frau mit dem Perlenohrring (dem Ohrring der Ehefrau!), als die der Maler sie im Auftrag seines Gönners malt, der nun das Bild im stillen Kämmerlein anschmachtet. - Ein wundervoller Film: hingehen, ansehen!

Sigrid Wiegand

Mädchen mit dem Perlenohrring läuft im Cinema am Walther-Schreiber Platz am
Do. 9.12. um 17:30,
Fr 10.12. um 20:00,
Sa 11.12. um 17:30 + 22:30,
So 12.12.um  20:00,
Mo 13.12. um 17:30,
Di 14.12. um 20:00,
Mi 15.12. um 17:30.

Dezember 2004  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis