Kann man jugendlicher Gewaltkriminalität
eine positive Seite abgewinnen? Ja, man kann. Indem man die zerstörerischen Energien
junger Menschen auf der Suche nach ihren Grenzen und denen ihrer Mitmenschen in Bahnen
lenkt, die ihnen das Mitgestalten ihrer Welt erlaubt. Sie sprechen am besten die Sprache
einer Welt, die dem Normalbürger erschreckend, bedrohlich und womöglich unabänderlich
verdorben vorkommt. Sie allein können die Seite wechseln und sich Respekt unter
ihresgleichen verschaffen, um weitere gewaltbereite Jugendliche vom Weg körperlicher
Gewalt abzubringen und ihre Energie erfolgversprechend einzusetzen. Dazu verdienen sie die
Unterstützung von Menschen, die ihre eigenen Problemjahre in der Jugend nicht vergessen
oder glorifiziert haben, ihre eigene Rebellion gegen die Normen und Forderungen der
Erwachsenen.
Am 16. November wurden in Friedenau in Anwesenheit von
Pressevertreter, Rundfunk und Fernsehen vier Jugendliche aufgrund ihres persönlichen
Engagements in der Streitschlichtung und der Prävention geehrt und ausgezeichnet.
Einer von ihnen war bereits mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und schlug aus eigenem,
innerem Antrieb einen anderen Weg ein: Heute ist Mohammed El-Ahmad (18) fast eine Art
Sozialarbeiter im Jugendheim "Mittelweg 30" in Neukölln. Vanessa Schloicka (16)
und Katrin Fels (17) war eine körperliche Auseinandersetzung auch nicht fremd, doch in
der Werner-Stephan-Oberschule wurden sie zu Streitschlichterinnen ausgebildet, die ihre
Erfahrungen und Kenntnisse wegweisend an ihre Mitschüler weitergeben. Arwed Schmidt
schließlich war Opfer einer Fehde zwischen zwei benachbarten Schulen, der sich aber nicht
duckte, sondern die Mittel legaler Gegenwehr ausschöpfte: Er zeigte die Täter trotz
Rachedrohungen an und brachte später Lehrer und Schülervertreter beider Schulen zu
Gesprächen an einen Tisch. Heute gibt es dort einen regelmäßigen Austausch und
gemeinsame Projekte statt sinnloser Aggression.
Der Einzelne kann also etwas verändern: Sich selbst und seine Umwelt. So ein Mensch ist
auch der Autor Lothar Berg (54), auf den diese Ehrung zurückgeht. Er selbst kann auf eine
kriminelle Vergangenheit zurückblicken und beschloss irgendwann, seine Kraft nicht mehr
an Machtkämpfe im Milieu zu verschwenden, sondern in der Gesellschaft etwas zu bewegen.
Er beschloss, seine Erfahrungen anderen Menschen jeden Alters zur Verfügung zu stellen,
um den Mythos Gewalt von seiner Aura zu entblößen. Aus seinem Buch "Fenster der
Gewalt", einer Sammlung von Kurzgeschichten aus dem kriminellen Milieu wurde eine
Privatinitiative, die in Schulen Lesungen veranstaltet und mit Jugendlichen und
Erwachsenen generationenübergreifend in einen Dialog über Gewalt treten will, um ein
gegenseitiges Verständnis, Akzeptanz und Respekt füreinander zu fördern.
Die Berliner Stadtreinigung hat sich finanziell engagiert, die Berliner Polizei begrüßt
und fördert Bergs Engagement. Es ist vielleicht kein Wunder, dass auch der Schauspieler
Ben Becker den entstehenden Verein "Fenster der Gewalt" e.V.i.Gr. von Anfang an
unterstützt hat. Wer von Berufs wegen die Abgründe menschlicher Emotionen durchleuchtet,
weiß, dass kein Mensch grundsätzlich und unwiderruflich auf eine bestimmte Rolle im
Leben festgelegt werden darf. Wie der Berliner Präventionsbeauftragte Stefan Bonikowski
meint: "Von 100 strafauffälligen Jugendlichen kehren 98 wieder von selbst in die
Gesellschaft zurück." Sie dabei zu unterstützen und die anderen beiden auch noch
mitzunehmen, darum geht es in der Präventionsarbeit.
www.fensterdergewalt.de
www.berlin-gegen-gewalt.de
Sanna v. Zedlitz
Dezember 2004 Stadtteilzeitung
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