DER LETTE-VEREIN
Ein Tag der offenen Tür mit Überraschungen

("Aus kleinen Anfängen Großes!" - aus: Die Gartenlaube, 1891)

1866 entstand unter der Leitung von Wilhelm Adolph Lette der Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts. Aus dieser Zielsetzung sind viele neue Berufe entwickelt worden und der Verein ist inzwischen Träger von drei Berufsfachschulen, einer Fachschule und zwei Lehranstalten. Für rund 1200 Jugendliche und junge Erwachsene stehen vollschulische Ausbildungsplätze in technischen, künstlerisch-kreativen, hauswirtschaftlichen sowie pharmazeutisch-technischen Berufen bereit. Alle Ausbildungen führen zu staatlich anerkannten Abschlüssen und die Einrichtung ist über Deutschlands Grenzen hinaus als „aufgeschlossene und fortschrittliche“ Ausbildungsstätte bekannt. Mit diesen Worten lud der Lette-Verein im vergangenen Herbst ein, seine Schule(n) am Viktoria-Luise-Platz zu besichtigen und sich über seine Arbeit und Ausbildungen zu informieren.

Dass W.A. Lette noch 1865 eindringlich beschwor: "Was wir nicht wollen und niemals, auch nicht in noch so fernen Jahrhunderten, wünschen und bezwecken, ist die politische Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen...", lässt zumindest seine Ahnung vermuten, dass Bildung und berufliche Ausbildung und Qualifikation der Frauen eben gerade zu der so gefürchteten Emanzipation führen mussten. 1866 als privater Förderverein zur finanziellen Unterstützung der "unverheirateten Frauenwelt der mittleren und höheren Klassen" von ihm gegründet, hat sich der nach ihm benannte Verein erst seit der Übernahme des Vereinsvorsitzes durch seine Tochter Anna Schepeler-Lette im Jahre 1872 nach und nach zu einer Reihe von Privatschulen mit staatlicher Anerkennung unter der Trägerschaft der Stiftung Lette-Verein entwickelt. Wichtige, zum Teil revolutionäre Arbeit ist in all den Jahrzehnten seit der Gründung geleistet worden. Mit avantgardistischem Gespür für kommende Berufe wurden neue Berufsfelder entwickelt - das der Diätassistent/inn/en z.B., der Metallograf/inn/en, MTA und Chemielaborant/inn/en - und nicht nur für Frauen, wie es anfangs das Ziel gewesen ist. Längst besuchen männliche Jugendliche die Schulen (die ersten schon seit 1910!), qualifizierte Weiterbildungen sind ermöglicht worden durch den Erwerb der Fachhoch-schulreife in den Technischen Berufsfachschulen.

Ursprünglich hatte der Lette-Verein seine Ausbildung in verstreuten Räumen in der Innenstadt begonnen und war dann 1873 in das erste eigene Gebäude in der heutigen Stresemannstraße gewechselt. 1902 bezog er das noch heute genutzte und inzwischen durch Erweiterungsbauten vergrößerte Gebäude am neu angelegten Viktoria-Luise-Platz, das zumindest die meisten Schöneberger und Schönebergerinnen kennen. Im November 1943 wurde die Schule durch Bomben zu 80 % zerstört; trotzdem begannen bereits bald nach Kriegsende, im Juni 1945, die Aufräumungsarbeiten und der Schulbetrieb und ab 1950 der Wiederaufbau, ab 1955 dann Renovierungen und Umbauten.

Für mich war dieser Tag der offenen Tür eine große Überraschung. Für uns Schülerinnen in den Fünfzigern war das Lettehaus eher eine Haus-wirtschafts- und Handarbeitsschule für "höhere Töchter" gewesen, wir hatten von Mädchen gehört, deren Großmütter schon auf dieser Schule waren, von "Bräute-Kursen", in denen man sich die Zeit bis zur Ehe vertreiben und Kochen und Nähen lernen konnte. Dass der Lette-Verein sich anno dunnemals für die Berufstätigkeit von Frauen eingesetzt hatte, war Schnee von vorgestern. Sehr zu unserem Nachteil wussten viele von uns nicht, welch qualifizierte Ausbildungen wir dort erwerben konnten, und manche hätten vielleicht Umwege vermeiden oder ein höheres Berufsziel erreichen können. Auch für heutige Jugendliche bietet der Verein in Zeiten eklatanten Lehrstellenmangels gute Ausbildungsmöglichkeiten; allerdings muss mit Schulgeld in Höhe von 360.- Euro im Schulhalbjahr gerechnet werden.

Spät, aber vielleicht nicht zu spät habe ich nun die vielfältigen Möglichkeiten des Lette-Vereins entdeckt: mein auf Zukunftssuche befindlicher Enkel hat sich für eine der angebotenen Ausbildungen begeistert und will sich um Aufnahme bewerben.

© Sigrid Wiegand
Redaktion Stadtteilzeitung

Der Lette-Verein im Internet:
www.lette-verein.de


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