Der Nollendorfplatz
 
 
Na klar, der Nollendorfplatz ist berlinweit bekannt. Hier kommt die U-Bahn aus dem Untergrund, hier findet eine Zäsur zwischen dichtbebautem Kiez und Kielgan-Viertel, zwischen "feinem Westen" und einer Gegend, wo sich jahrelang städtebauliche und soziale Probleme aufwarfen, statt.

Ursprünglich war er, ebenso wie die anderen neu angelegten Plätze in Schöneberg um 1900, als Schmuckplatz geplant. Er ist Teil eines von James Hobrecht konzipierten Boulevardrings, der bis nach Kreuzberg geführt werden sollte. Weil alle Straßenzüge und Plätze mit ihrem Namen an die Befreiungskriege erinnern, spricht man auch vom Generalszug: Die Kleiststraße wurde nach Friedrich Heinrich Ferdinand Emil Graf Kleist von Nollendorf, die Bülowstraße nach Friedrich Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz benannt. Beide waren Heerführer auf preußischer Seite. Die Nollendorfer Höhen bei Kulm in Tschechien waren Schauplatz einer Schlacht am 30.8.1813.

Der Bau der Hochbahn 1902 zerstörte die Platzstruktur, so dass er nicht mehr mit dem Viktoria-Luise-Platz oder dem Wittenbergplatz konkurrieren konnte. Zwar wurde damals im Vorfeld nicht mit Kritik gespart, doch die Befürworter der Hochbahn setzten sich durch. Damit schufen sie eine Abgrenzung zwischen "besserer" und "schlechterer" Wohngegend, die bis heute anhält.

Zeitgleich mit dem Bahnbau entstand das Theater am Nollendorfplatz. Von da an entwickelte sich in dieser Gegend das Nachtleben, das seinen besonderen Höhepunkt in den zwanziger Jahren hatte. Zu-nächst trug der von Albert Fröhlich 1906 im Jugendstil errichtete Theaterneubau den Namen "Neues Schauspielhaus", ab 1920 "Nollendorftheater". Erwin Piscator übernahm die Bühne 1927, nun hieß es "Theater am Nollendorfplatz". Die Schauspielerin Tilla Durieux feierte hier ihre Erfolge, John Heartfield entwarf Bühnenbilder und George Grosz Programmhefte. Brecht arbeitete einige Zeit in der Dramaturgie.

Doch 1930 war Schluss mit dem Theaterbetrieb und ein Kino zog ein. Spektakulär war die Uraufführung des Films "Im Westen nichts Neues" nach dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque. Dieser Film passte nicht in das Programm der Nationalsozialisten. So wurde die Vorstellung mit Stinkbomben und weißen Mäusen sabotiert.

Viele Künstler zogen in den zwanziger Jahren in die Straßen rings um den Platz. Im Hotel Koschel in der Motzstr. 7 waren die Lyrikerin Else Lasker-Schüler und der Maler Oskar Kokoschka Dauergäste. Ernst Rowohlt bereitete von hier aus die Gründung seines Verlages in der Potsdamer Straße vor. Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, wohnte in der Motzstr. 30, der Dirigent Wilhelm Furtwängler in der Maaßenstr. 1. Dies ist nur eine Auswahl, die Aufzählung könnte weiter fortgesetzt werden. Der Schriftsteller Christopher Isherwood hat mit seinen Erinnerungen an diese Zeit - er wohnte in der Nollendorfstr. 17 - in dem Roman "Goodbye to Berlin" die Vorlage für das Musical "Cabaret" geliefert.

Auch die Berliner Homosexuellenszene entstand damals. Bars für Schwule und Lesben eröffneten zu einer Zeit, als man noch lange nicht von gesellschaftlicher Akzeptanz sprechen konnte und Gesetzeshür-den zu überwinden waren. Am bekanntesten waren das "Garconne" in der Kalckreuthstr. 11 für weibliche Gäste und das "Dorian Gray" für männliche. In der Zeit des Nationalsozialismus mussten diese Lokale schließen, Homosexuelle wurden verfolgt. Eine Gedenktafel am Bahnhofsgebäude erinnert daran.

Im Krieg versank der Nollendorfplatz in Schutt und Asche. Besonders schlimm waren die letzten Tage vor Kriegsende, als viele Menschen Zuflucht in den U-Bahn-Anlagen suchten. Sie lebten dort tagelang ohne ausreichende Versorgung. Langsam fand der Wiederaufbau statt. In den siebziger Jahren wurden die angrenzenden Straßenzüge als Sanierungsgebiet ausgewiesen. Auf den stillgelegten Bahnsteigen der Hochbahn wurde ein Flohmarkt betrieben. Doch der kulturelle Glanz war dahin. Diskotheken und Bars boten zwar immer noch die Möglichkeit zum Amüsieren, aber große Namen fehlten.

Das Bahnhofsgebäude hat vor drei Jahren, nach der denkmalgerechten Sanierung des Gebäudes - schließlich haben so namhafte Architekten wie Wilhelm Cremer und Richard Wolffenstein (siehe auch Bahnhof Bülowstraße) sowie Alfred Grenander (siehe auch Bahnhof Wittenbergplatz) seinerzeit das Gebäude geplant bzw. erweitert - wieder eine Kuppel erhalten. Der Entwurf stammt von den Architekten Schüler und Witte, die durch den Bau des ICCs bekannt geworden sind. Leit-motiv war die Wiederherstellung der Stadtsilhouette, nicht die originalgetreue Rekonstruktion der alten Kuppel.

Das Theatergebäude mit den wechselnden Namen, zuletzt bekannt als "Metropol"-Diskothek, wird auf Initiative des Inhabers der Bar am Lützowplatz, Peter Glückstein, zu einem Nachtclub der gehobenen Klasse umgebaut. "Goya" soll er heißen, nach dem Künstler, der sich nie um "die kleinbürgerlichen Erwartungen seiner Zeit gekümmert hätte", sagt Glückstein, der so seine Zielgruppe sieht. Als Architekt wurde Hans Kollhoff engagiert, der z. B. das Debis-Hochhaus am Potsdamer Platz geplant hat. Das ganze Projekt soll in Form einer Aktiengesellschaft finanziert werden, zahlreiche Prominente haben sich schon beteiligt. Die Werbung knüpft ganz bewusst an die Vergangenheit dieses Standortes an. Ob in den nächsten Jahren der Nollendorfplatz wieder zum Zentrum des Berliner Nachtlebens wird?

Marina Naujoks
ehrenamtliche Redakteurin

Juni 2004  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis