Das "Verborgene Grün von Schöneberg" *)
Foto: Sigrid Wiegand
Foto: Sigrid Wiegand
Raum für Graffiti-Sprayer.
Das Südgelände bietet auch Platz für die sonst im Berliner Stadtbild unbeliebten Graffitis.
Darunter das ein oder andere Kunstwerk. Foto: Sigrid Wiegand

In all den Jahren des zähen Ringens um die naturnahe Gestaltung des Südgeländes spielte sich dort - sozusagen auf einer zweiten Ebene - noch etwas ganz anderes ab. Irgendwann in den frühen Achtzigern war mir als "Geheimtipp" zu Ohren gekommen, daß man auf dem verwilderten Südgelände herumstreifen, Flieder und Maiglöckchen pflücken und Äpfel aus aufgelassenen Kleingärten ernten, seltene Pflanzen und Tiere beobachten oder verrottete Gleis- und Signalanlagen bestaunen konnte.

Die Zugänge zum Gelände wurden durch Mundpropaganda weitergegeben, wurden auch immer wieder versperrt, aber mit schöner Regelmäßigkeit, meist mit Drahtscheren, wieder geöffnet. Es war ein Abenteuer, dort "subversiv" durchs Unterholz zu kriechen, hier und da auf picknickende Pärchen beiderlei Geschlechts zu stoßen oder auf Fans, die einem mit glänzenden Augen zuraunten: "Ich hab da vorne ein Schienendrehkreuz gefunden, das müßt ihr euch ansehen!" oder: "Guckt euch diese Pflanze an, die gibt's in ganz Berlin sonst nicht!", manchmal auch auf einen Bahnbeamten mit Hund, der nicht unfreundlich sagte: "Ich hab euch nicht gesehen, aber lauft mir nicht nochmal über den Weg!" Man konnte bis zur Möckernbrücke auf diesem Abenteuerpfad gelangen, um den gleichzeitig als "Grüntangente" so heftig gekämpft wurde, und als "eingesperrter" Westberliner unverfälschte Natur genießen.

Wer beschreibt meine Freude, als ich das erstemal in den Natur-Park Südgelände kam und ein fast unverändertes Stück meines alten westberliner Refugiums wiederfand: keine zubetonierten Wege, keine zugerichtete Landschaft, kein Glanz und Glamour! Stattdessen behutsam in die Naturlandschaft eingebaute, rollstuhlgerechte Metallpisten, durch deren Gittergeflecht sich Pflanzen ihren Weg bahnen können, hier und da eine Bank, ein kleiner Spielplatz, für Sprayer Übungsmauern ohne Risiko, die alten Bahnrelikte als Industriedenkmale wie eh und je mitten in der Natur. Und das Schönste: hinter allen Pisten noch der alte Wildwuchs, durch den man noch einmal streifen und sich wie vor 20 Jahren fühlen kann! Ich kämpfe gegen stachelbewehrte Ranken, die ihr Revier verteidigen, klettere über verrottende Baumstümpfe und gelange schließlich an einen Zaun, an dem Gleichgesinnte bereits tätig waren - wie in alten Zeiten. Durch das Loch weiter bis an den endgültig letzten Bauzaun, an dem sich niemand vergreifen mag und der das Ende aller Utopie besiegelt: Bagger und Baumaschinen planieren das Gelände vor dem Bahnhof Papestraße, ab hier hat die Zivilisation über die Natur gesiegt!

*) Titel einer Fotoausstellung März 1981

 

© Sigrid Wiegand
Redaktion Stadtteilzeitung

Mai 2004  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis