Der Friedrich-Wilhelm-Platz - ein Kinderparadies?
Noch in voller Schönheit, der F.-W.-Platz, Bild: Archiv Tempelhof-Schöneberg (9041 Byte)
Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal 1901, Bild: Archiv Tempelhof-Schöneberg (13575 Byte)
Der Platz in voller Breite 1907, Bild: Archiv Tempelhof-Schöneberg (10453 Byte)
"Friedenaus Schmuckplätze - jeder kennt sie. ...Und der Friedrich-Wilhelm-Platz! Ein Kinderparadies! Die jungen Mütter mit dem Wagen, im dem das 'Kleinchen' sitzt; die älteren Kinder, die im Sand spielen."
(Aus dem "Schöneberg-Friedenauer Lokal-Anzeiger" vom November 1924)

Man kann sich das ja gar nicht mehr vorstellen, wie Friedenau zur Zeit seiner Gründung - 1871 - ausgesehen hat: Wiesen und Kornfelder weit und breit, einzelne Wohnhäuser, ein paar Gehöfte, irgendwo ein kleiner Pfuhl. Die von Berlin nach Potsdam führende Chaussee - auf dem späteren Friedenauer Gebiet die Haupt- und Rheinstraße - war allerdings schon seit 1793 gepflastert, sicher zu Heereszwecken. Der Großgrundbesitzer Carstenn, der seine Güter Giesensdorf, Lichterfelde und Deutsch-Wilmersdorf verbinden wollte, ließ 1872-74 die Kaiserstraße (später Kaiserallee, heute Bundesallee) anlegen und mit Rüstern bepflanzen. Diese Straße könnte man als die "Keimzelle" Friedenaus bezeichnen.

Ohne alten Siedlungskern wurde Friedenau mitten in den Feldern des Gutes Deutsch-Wilmersdorf auf einem Areal von 40 Morgen angelegt, etwa eine Stunde (Gehminuten, Pferdebahn- oder Bahnminuten?) vom damaligen Mittelpunkt Berlins entfernt - und natürlich weit "vor den Toren Berlins" (ein anderes Dokument nennt eine Entfernung von 4,5 km). Auf einem sog. "Situationsplan von dem Wilmersdorfer Oberfeld" von 1872 sieht man die "Urform" von Friedenau und auch des Friedrich-Wilhelm-Platzes, der wohl als zwei getrennte Anlagen im Zuge der Kaiserstraße geplant war, auf deren einer, der südlichen, später die Kirche zum Guten Hirten errichtet wurde.

Mit dieser Straße und ihren Anlagen, die später zum Friedrich-Wilhelm-Platz erweitert wurden, hat es also angefangen, so daß man den Platz durchaus als das "Herz von Friedenau" bezeichnen könnte; er liegt sozusagen in der Mitte der alten "Kolonie Friedenau". (Der hinter der Wannseebahn gebaute Teil Friedenaus gehörte zu Schöneberg und wurde als "Neu-Friedenau" bezeichnet). Sie war von Carstenn als Landhaussiedlung geplant, als "grüne Lunge der Großstadt", wie er es nannte. Die Änderung der Bauordnung, die auch viergeschossige Häuser zuließ, vereitelte sein menschenfreundliches Vorhaben (s. auch "Das Wagnerviertel", Stadteilzeitung Nr. 9, März 04). Der Bau großer Mietshäuser mit zum Teil preiswerten Wohnungen zog auch sog. "kleine Leute" nach Friedenau, was nicht immer auf Gegenliebe der Villenbesitzer stieß. So beklagte sich im April 1893 ein Besitzer über die ungeliebte Nachbarschaft, deren "Redensarten er über sich ergehen lassen müsse und die ihren Müll aus den Fenstern in seinen Garten werfen würden", ein Vorgehen von ausgegrenzten Mitbürgern, das man auch heute noch beklagt...
1887 wurde der Friedrich-Wilhelm-Platz dann gärtnerisch gestaltet und vom sog. "Verschönerungsverein" instand gehalten, und 1888 wurde er nach dem damaligen Kronprinzen Friedrich-Wilhelm benannt. (Eine 1945 vorgeschlagene Namensänderung in "Engelsplatz" wurde vom Berliner Magistrat nicht bestätigt.) Seit Anfang der 1880er Jahre war über den Bau einer evangelischen Kirche für die Friedenauer Bürger nachgedacht worden, nachdem in den vergangenen Jahren die Gottesdienste in verschiedenen Provisorien abgehalten werden mußten. Der Friedrich-Wilhelm-Platz bot sich als Bauplatz an, das Projekt wurde "höhern Ortes" protegiert, von Kaiserin Auguste Viktoria, respektlos auch "Kirchen-Juste" genannt, weil ihre Vorliebe für Kirchenbauten in Berlin bekannt war, die die Arbeiter von Kneipen und Gewerkschaftsversammlungen fernhalten sollten. 1891 wurde mit dem Bau der Kirche begonnen, 1893 wurde sie als "Kirche zum guten Hirten" eingeweiht. Ihre Glocken läuten den Friedenauer Bürgern und Bürgerinnen nunmehr seit über hundert Jahren den Feierabend und Sonntag- und Feiertage ein.

Auf einem alten Foto von 1897, von einem Standort mitten in den Feldern (heute Wilhelmshöher- Ecke Rheingaustraße) aus aufgenommen, sieht man, daß die westliche Seite des Friedrich-Wilhelm-Platz noch unbebaut war und sich auf der östlichen Seite außer der völlig freistehenden Kirche nur zwei oder drei Wohnhäuser befanden, schon vierstöckig. Zu der Zeit war der Friedrich-Wilhelm-Platz also eher die westliche Grenze Friedenaus als sein Herz. Aber die Straßen waren projektiert, wenn auch vorerst zwischen Ring-, Handjery- und Rheinstraße bebaut - die ersten Häuser entstanden in der Ring-, heutigen Dickhardtstraße. Das waren noch die ursprünglichen Landhäuser, zuerst verputzt, später mit Backsteinfassaden gebaut. Am ehesten kann man sich ins alte Friedenau hineinversetzen, wenn man vom Friedrich-Wilhelm-Platz aus die Schmargendorfer Straße entlanggeht, in der sich noch eine Reihe von alten Friedenauer Villen findet, vorbei an der sog. Villa Hoffmann an der Ecke des Platzes, die der Bauherr wie eine kleine Ritterburg gestaltet hat. (1979 baute man sie zu einem Jugendzentrum um, das folgerichtig "Die Burg" getauft wurde.) Das Pendant dazu liegt jenseits des Platzes an der Ecke Goßlerstraße, auch von Hoffmann erbaut. Seine Tochter soll noch als alte Dame dort gewohnt haben.

Nach Änderung der Bauordnung wurden dann nach und nach auch die Westseite des Friedrich-Wilhelm-Platz und die angrenzenden Straßen bebaut. An der Ecke Kaiser-(Bundes)allee/Goßlerstraße entstand das neue Gemeindehaus in der Form, wie wir sie auch heute kennen, mit Kindergarten und Diakonissenheim, und auch die Baulücken auf dieser Seite der Kaiserallee wurden nach und nach geschlossen. 1901 wurde auf dem nördlichen Ende des Friedrich-Wilhelm-Platz als besonderes "Schmuckstuck" ein Sandsteinbrunnen mit Spenden von Friedenauer Bürgern gebaut und im Oktober 1901 mit vaterländischem Pomp eröffnet, der sog. Kaiser-Wilhelm-Brunnen, auf dem die Kinder mehrerer Generationen herumkletterten. (Sein Abriß in 60ern ging eher sang- und klanglos vonstatten). Im Heimatmuseum Schöneberg befinden sich noch einige Relikte: ein rotes Sandsteinrelief mit Löwenkopf und das Friedenauer Friedensengelwappen auf einer Halbsäule.

Nach und nach wuchs der Friedrich-Wilhelm-Platz zu einer schön gestalteten Anlage heran; mit hohen Bäumen und Blumenrabatten wurde er einer der Friedenauer "Schmuckplätze", von denen das Zitat aus dem Lokal-Anzeiger von 1924 spricht. Ich selbst bin in den frühen Dreißigern mit einem Sandeimerchen in der Hand als "Eisverkäuferin" um den Buddelkasten herumgelaufen und erinnere mich an den schönen großen Platz mit Blumen und Bäumen, überspannt von einem hohen Sommerhimmel, über den Flugzeuge zogen, an die gelbblauen Bänke, wo meine Mutter saß und auf mich aufpaßte. Später dann saß ich dort und paßte auf meine eigenen Kinder auf, und der Platz war immer noch schön - nach einer Kartoffel- und Gemüsephase in der Nachkriegszeit wieder mit Blumen bepflanzt, und man konnte dann dort auch nicht mehr seinen überfahrenen Dackel samt Körbchen und Kissen begraben, was die Verfasserin hiermit gesteht, im Frühjahr 45 getan zu haben..

Bis in die 60er Jahre hinein umrundeten die Straßenbahnen wie eh und je den Platz auf ihrer Fahrt vom Zoo nach Steglitz und zurück - anfangs als Dampf-, ab 1898 als elektrische Straßenbahnen. Dann wurden die Schienen ausgebaut, und Busse übernahmen ihre Aufgabe. Den endgültigen Garaus aber machte der "autogerechte" Ausbau dem Friedrich-Wilhelm-Platz. Wegschaffen konnte man ihn nicht, da war die Kirche vor; so hat man ihn zusammengestutzt, hat einen Teil der Anlagen auf der östlichen Seite in zwei weitere Fahrbahnen verwandelt, auf denen die Autos in beiden Richtungen ihren Weg nehmen. Für die Kinder wurde ein Eckchen mit Sandkasten und vergittertem Ballplatz reserviert, der heute kaum noch benutzt wird. Kleine Fontänen sprudelten aus mehreren Kunststeinplatten, die einen recht hübschen Eindruck machten, ehe der immer weniger angenommene Platz zu verwahrlosen begann. Und damit änderte sich auch sein Publikum: schuleschwänzende Jugendliche findet man auf den wenigen Bänken, und diejenigen, denen der Platz zum Wohnzimmerersatz geworden ist und die dort Notgemeinschaften bilden, aus denen sie menschliche Wärme ziehen. Der Platz ist zu einer Durchgangsstation geworden. Umsteigende Fahrgäste und pausierende Busfahrer, die dort ihre Endhaltestellen haben, laben sich an der Imbißbude, ehe sie ihn wieder verlassen. Mehr als einen flüchtigen Blick in verwildertes Grün wirft man dem Friedrich-Wilhelm-Platz heute nicht mehr zu.

©Sigrid Wiegand
Redaktion Stadtteilzeitung

November 2004  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis