Künstler im Kiez: Eva Zeller - Schreiben ist eine Sucht
 
 
Friedenau war und ist ein Ort, an dem sich Künstler und Literaten wohlfühlen. Heute stellen wir Ihnen die Schriftstellerin Eva Zeller vor. Die mehrfach preisgekrönte Autorin ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz.

1923 in Eberswalde geboren und im Fläming und in Berlin aufgewachsen, lebte sie bis 1956 in der DDR, 1956 bis 1962 in Südwestafrika, später u.a. in Heidelberg. Nun, 17 Bücher später, ist Eva Zeller nach Berlin zurückgekehrt.

Vor Ihrer Heirat haben Sie Germanistik und Philosophie studiert. Was war ursprünglich Ihr Berufswunsch?
Ich wollte Lektorin in einem Verlag werden und Bücher machen.

Aber ans Schreiben selbst haben Sie nicht gedacht?
Doch, schon, aber ich hatte damals noch gar nicht so viel Selbstbewusstsein als junge Studentin, dass ich gesagt hätte, ich werde Schriftstellerin.

Sie haben an der Seite Ihres Mannes, eines Pfarrers, einige Jahre in Namibia gelebt.
Was ist Ihre eindrücklichste Erinnerung daran?
Wir waren völlig unvorbereitet dorthin geschickt worden und kamen in ein Land der strengen Apartheid, von einem totalen Staat in den nächsten. An jeder Bank und jedem Postamt und an jedem Bahnhof stand: "For Europeans only" oder "For White". Jede Kritik hätte zu sofortiger Ausweisung geführt. Diese sechs Jahre waren schwer: Das Klima, der Wassermangel, die Trennung von Freunden und Familie; schließlich wurden meine Zwillinge schwer krank, und ich musste nach Deutschland zurück.

Nach Ihrer Rückkehr nach Deutschland wurden Sie literarisch tätig. Was hat Sie damals zum Schreiben bewogen?
Schreiben ist eine Sucht. Wirklich eine Sucht, eine Sprachbesessenheit, ein Wortwörtlichnehmen von Sprache. Ich denke, ich wurde durch meine Mutter in früher Kindheit für Sprache sensibilisiert.

Haben Ihre Erfahrungen als Pfarrfrau Ihre Art zu schreiben beeinflusst?
In ein Pfarrhaus kommen ja viele, die Rat und Hilfe suchen. Es mag schon sein, dass ich dadurch in meinen Büchern oft von Ausgesonderten, Ausgestoßenen, Mühseligen und Beladenen geschrieben habe. Ein Kritiker hat das mal gesagt: Ich hätte mich immer auf die Seite dieser Mühseligen gestellt. Ich bin der Meinung, dass ein Schriftsteller - sofern er kein Sachbuchautor ist - seinen Stoff und sein Thema gar nicht aussucht. Umgekehrt: Das Thema sucht sich seinen Autor, einen, der prädestiniert ist und der genau für diesen Stoff geeignet ist. Und ich habe dann immer dieses Wort von dem jüdischen Literaturhistoriker George Tyner im Ohr, der gesagt hat: Literatur ist die vom bloßen Zwang zur Information entlastete Sprache. Es kommt zunächst nicht so sehr auf die Information an, d.h. nicht so sehr auf das Thema, sondern dass die Sprache als solche zu Worte kommt. Ich sage immer: tanzt. Also das WIE ist viel wichtiger als das WAS ich schreibe.

Sie haben ein breites Spektrum an Themen, von Afrika über die Lebenserinnerung bis zu Liebesgeschichten und dem historischen Roman. Wie kommen die-se Themen zu Ihnen?
Das ist fast eine erotische Begegnung. Ich höre verschiedene Geschichten, aber plötzlich horche ich auf, und dann weiß ich: Das ist mein Thema. Und dann kommt die Arbeit, dann gehts los.
Das Leben einer Pfarrfrau bietet nicht viel Muße zum Schreiben. Wie kommen Sie überhaupt zum Arbeiten?
Es bietet eigentlich überhaupt keine Muße! Ohne kokettieren zu wollen: Ich weiß ehrlich gar nicht mehr, wie ich das gemacht habe, mit einem sehr lebhaften Mann, und mit vier Kindern, einem Pfarrhaus, immer wenig Geld im Haus, weil wir ja zunächst in der DDR waren und auch in Afrika bei kleinem Gehalt; also ich konnte mir keine Hilfe leisten, höchsten gelegentlich eine Stundenfrau. Ich kann allerdings sehr gut organisieren. Ich habe dann die Arbeit, die eine Hausfrau normalerweise vormittags macht, auf den Nachmittag verlegt und habe vormittags eisern meine drei Stunden gearbeitet, sehr diszipliniert.

Was halten Sie für die wichtigste Eigenschaft eines Schriftstellers bzw. einer Schriftstellerin?
Fleiß, Konzentration, die Fähigkeit zu meditieren und kontemplativ zu sein. Das ist eine Frage des Einübens und des Sich-Abschirmen-Könnens, und das ist wahnsinnig schwierig in einer großen Familie. Vor allen Dingen: Ich habe es immer mit schlechtem Gewissen gemacht: Die Zeit, in der ich hier sitze, müsste ja eigentlich meinem Mann und meinen Kindern und der Gemeinde gehören. Aber wie gesagt: Diese Sucht war stärker als diese anderen Anforderungen. Ich war sicher keine ideale Pfarrfrau.

Was ist das größte Hindernis im Schreibprozess?
Zerstreutsein.

Welche Aufgabe sollte und kann Literatur heute erfüllen?
Ich will erst mal sagen, was Literatur nicht kann. Literatur kann keine Kriege verhindern, Literatur kann nicht verhindern, dass Macht missbraucht wird, Literatur kann nicht die Vorherrschaft des Geldes verhindern. Aber sie kann den Menschen sensibilisieren, dünnhäutig machen. Sie kann ihn aufschrecken aus diesem Trott. Ich würde sagen, wenn jemand fünf Seiten Fontane oder ein Ringelnatzgedicht oder eines von Benn oder Brecht liest, dann kann er manche Sachen an diesem Tag nicht machen, weil er aus seinem Alltag herausgeholt ist. Jemand hat mal gesagt: Von einem guten Gedicht muss ich eine Ohrfeige kriegen, damit ich zur Besinnung komme. Diese Gegensprache wird leider viel zu wenig wahrgenommen.

Welches Buch müsste noch geschrieben werden?
Ich würde sagen, das Alte und Neue Testament in Leuchtschrift.

Abschließend noch dies: Was ist Ihr aktuelles Projekt?
Ich mache im Augenblick einen neuen Gedichtband und habe jetzt den richtigen Titel gefunden. Der Band wird wahrscheinlich heißen: "Wie leicht bricht das". Da denkt man natürlich an "Das Glück und Glas, wie leicht bricht das", die letzte Zeile eines Gedichtes.

Frau Zeller, wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Gespräch führte
Sanna v. Zedlitz

Publikationen von Eva Zeller:
Die magische Rechnung, Roman, 1965
Der Sprung über den Schatten, 1967
Ein Morgen Ende Mai - 10 prosaische Lesestücke, 1969
Sage und schreibe, Gedichte, 1971
Der Turmbau, Erzählung, 1973
Lampenfieber, Roman, 1974
Fliehkraft, Gedichte, 1975
Die Hauptfrau, Roman, 1977
Auf dem Wasser gehn, Gedichte, 1980
Solange ich denken kann, Roman, 1981
Tod der Singschwäne, Erzählband, 1983
Nein und Amen, Roman, 1986
Heidelberger Novelle, Roman, 1988
Stellprobe, Gedichte, 1989
Ein Stein aus Davids Hirtentasche, Gedichte; 1992
Die Lutherin, Spurensuche nach Katharina von Bora, 1996
Das versiegelte Manuskript, Roman, 1999
Dreißig Worte für Liebe, Erzählungen, 2001.

Oktober 2004  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis