Foto: Reproduktion eines Ölgemäldes der alten Dorfkirche
von Franz Sikora (1954)Wieder ein Jahr um! Ein
Ausspruch, der in den nächsten Tagen und Wochen oft zu hören sein wird. Die Sonne
erreicht ihren tiefsten Stand, Weihnachten und Silvester markieren den Jahreswechsel. Eine
Zeitphase zum Innehalten, aber auch für den Neubeginn. In der Reihe "Orte und
Plätze" wird daher der alte Dorfkern von Schöneberg vorgestellt, denn er erinnert
an den Anfang und die Entwicklung der Stadt.
Es gibt tatsächlich einen kleinen Berg, der auf dem Weg hinaus aus dem Urstromtal der
Spree erklommen werden muss: Ab Kleistpark gen Süden geht es kontinuierlich
"bergauf", im Bereich Innsbrucker Platz wieder ein bisschen "bergab".
Auf der Hügelkuppe entstand eine Siedlung, die 1264 erstmalig urkundlich erwähnt wurde.
Die Dörfer in unserer Region waren geprägt von einem Dorfanger, d. h. einer Mittelinsel
auf dem Weg / der Chaussee, auf oder neben dem üblicherweise die Kirche, später auch die
Schule, das Spritzenhaus der Feuerwehr einschließlich Löschteich sowie ein Wirtshaus
ihren Platz fanden, kurz alle "Kommunalen Einrichtungen", die jahrhundertelang
zur Versorgung der Bevölkerung ausreichten.
Heute finden wir an dieser Stelle einen etwas aufgeweiteten, begrünten Mittelstreifen im
Bereich Hauptstrasse zwischen Albert- und Dominicusstrasse, der auf der nordwestlichen
Seite von einigen gut erhaltenen bzw. restaurierten Villen der Millionenbauern und einer
kleinen Dorfkirche, neben einem Kirchenbau aus dem Jahr 1961, auf der gegenüberliegenden
Seite vom ehemaligen "Prälat Schöneberg" und Gebäuden aus den sechziger
Jahren gesäumt wird: Eine bizarre Mischung! Aufgrund der Verkehrsführung über den Anger
hinweg und an ihm vorbei (Ältere Leser erinnern sich an die Stahlhochstrasse über die
Kreuzung Haupt-/ Dominicusstrasse, die in den siebziger Jahren den Verkehr noch schneller
durchleiten sollte) gibt es keinen erkennbaren (Dorf-)Kern mehr.
Foto: Hauptstraße/Ecke Domenicusstraße in den 50er Jahren
Den Dorfcharakter verlor Schöneberg in der zweiten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts, als die nahe Stadt Berlin expandierte. Die Villen zeugen
nicht vom agrarwirtschaftlichen Erfolg der Bauern, sondern von Bodenspekulation und
entsprechenden Gewinnen. Diese repräsentativen Bauten werden heute vielfältig genutzt,
z. B. für den Polizeiabschnitt oder das Jugendmuseum. Auch unser Bezirksarchiv, wo ich
schon so viele Informationen fand, hat hier seinen Standort.
Ein Problemfall bleibt der Prälat. Unter Denkmalschutz stehend und in seiner Glanzzeit
als Veranstaltungsort für Bälle genutzt, gelang es vor zwanzig Jahren nicht, eine
adäquate neue Nutzung zu finden, als die alte nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden
konnte. Mehrere Projekte wurden der Öffentlichkeit vorgestellt, keines bisher
verwirklicht. Ein Eigentümerwechsel vor kurzer Zeit versprach neuen Schwung. Wir werden
sehen...
Einige Meter weiter behauptet sich das Kino "Odeon", das Filme im Originalton
zeigt und somit für den Sprachinteressierten eine Fahrt nach Schöneberg wert ist.
Nun zu der kleinen Dorfkirche: Sie erfreut sich immer größerer Beliebtheit als Ort für
Trauungen und Trauerandachten. Ein Spiegel der Sehnsucht, nicht an beliebigen Orten diese
wichtigen Stunden des Lebens zu zelebrieren, sondern auf etwas Beständiges, Gewachsenes
zurückzugreifen. Gerade wenn wir in diesen Tagen nach Frankreich schauen, wird die Frage
gestellt, inwieweit die gebaute Umwelt unser Sozialverhalten beeinflusst.
Die wahrscheinlich erste Kirche an diesem Ort wurde 1544 zerstört, der Nachfolgebau im
Siebenjährigen Krieg (1756-1763) ebenfalls. Friedrich II. stiftete daraufhin einen
Neubau. Der gehörte zum Typ der preußischen Amtskirchen, wie sie mehrfach in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts errichtet wurden. Doch diese Kirche ist besonders reich
ausgeschmückt gewesen, so ist z. B. das Seitenportal besonders groß und mit
manieristischen Elementen versehen worden. Die ehemalige Zweigeschossigkeit ist immer noch
an der Fassade ablesbar, das Emporengeschoss wurde nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch nicht
wiederhergestellt. 1955 wurden die Kriegsschäden beseitigt und - nach Entwürfen von
Walter Krüger - der Innenraum in schlichter Form gestaltet, ähnlich, wie man auch heute
noch mit denkmalgeschützter Substanz umgehen würde. Im nächsten Jahr soll am Eingang
ein kleines, filigranes Vordach angebracht werden, das die Tür und die Davorstehenden vor
der Witterung schützt, aber nicht in den ursprünglichen Charakter des Gebäudes
eingreift.
Die benachbarte Paul-Gerhard-Kirche ist das eigentliche Zentrum der evangelischen Gemeinde
(Näheres zur Adventszeit unter www.schoeneberg-evangelisch.de). Zur Entstehungszeit vor
44 Jahren war die Formsprache umstritten. Hermann Fehling und Daniel Gogel entwarfen 1961
das ganze Ensemble einschließlich des Wiederaufbaus der katholischen St.Norbert-Kirche an
der Dominicusstrasse. Beide Kirchengebäude hatten Vorgängerbauten an diesen Standorten:
Die erste Paul-Gerhard-Kirche wurde 1908/10 durch Friedrich Schulze errichtet, der Turm
wurde im Volksmund mit einer Thermoskanne verglichen. Die St.Norbert-Kirche entstand
1913-1918 nach Entwürfen von Carl Kühn.
Der Caritasverband für das Erzbistum Berlin errichtet zur Zeit einen Erweiterungsbau für
das Pflegeheim St.Josef in der Dominicusstrasse 13. Bisher gibt es am Standort 33 Pflege-
bzw. Wohnplätze, Ende nächsten Jahres sollen es dann insgesamt 95 sein. Die Atmosphäre
im Haus ist christlich geprägt, sieben Ordensschwestern sind hier seelsorgerisch tätig.
Einziehen kann jedoch jeder Pflegebedürftige, unabhängig von der
Konfessionszugehörigkeit Der zukünftige Träger wird die Caritas Altenhilfe gGmbh
(www.caritas-altenhilfe.de) sein, die im gesamten Stadtgebieten ähnliche Einrichtungen
betreibt.
Durch den Neubau wird ein Verbindungselement zwischen Kirchenbau und den übrigen
vorhandenen Gebäuden auf dem relativ kleinen Grundstück geschaffen. Das Architektenteam
Pappert und Weichynik muss, wie überall bei komplexen Bauvorhaben, den Spagat zwischen
Umsetzung der rechtlichen Vorschriften, wie z. B. der Heimmindestbauverordnung, dem
Denkmalschutz etc. und den funktionalen Vorgaben des Bauherrn vollziehen. Es gelingt ihnen
mit einer zurückhaltenden Architektur, die nicht dominieren wird.
Doch zurück zum Dorfanger. Er sollte vielleicht in Zukunft etwas mehr in Szene gesetzt
werden, nicht für Jahrmärkte, sondern als Herzstück von Schöneberg. Hier begann die
Besiedlung und hier könnte wieder ein Ort entstehen, zu dem man gerne hingeht, einzelne
"Ankerpunkte" gibt es ja schon.
Ich wünsche unseren Lesern ein frohes Weihnachtsfest und einen glücklichen Start ins
neue Jahr!
Marina Naujoks
Dezember 2005 Stadtteilzeitung
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