TanzZeit an Berliner Grundschulen
Die Tänzerin hebt die Hände und schließt behutsam die Augen ihres Partners. Dann tritt
sie hinter ihn, umfasst seine Schultern und lässt ihn sanft zu Boden gleiten. Sie hilft
ihm auf und stürzt selbst nieder. Er reicht ihr die Hand und zieht sie hoch. Die Tänzer
umschreiten sich, entfernen sich, tauschen Blicke und meiden sie. Langsame zärtliche
Musik klingt durch den Raum. In welchem Tanztheater sind wir hier?
Wir verfolgen die erste Probe einer 4. Klasse an der Uckermark-Grundschule in Friedenau.
Die Tänzerin und ihr Partner heißen Lena und Samer, beide neun Jahre alt. "Wie
findet ihr es, zusammen zu tanzen?" "Normal!" Gemeinsam mit ihren
Klassenkameraden proben sie unter Leitung der Choreographin und Tanzpädagogin Livia
Patrizi ein Tanztheaterstück, in dem es um Sehen und Gesehenwerden, um Einsicht und
Durchblicke gehen wird. Wochen sind vergangen mit Aufwärm- und Vorübungen. Nun wird es
ernst. Sie arbeiten.
Und wie sie arbeiten! Sie reißen sich zusammen, unterdrücken den Impuls, einfach
loszurennen und loszuschreien, versammeln sich immer wieder zu konzentrierter Stille und
geben ihr Bestes. Denn: "Tanzen macht Spaß, ja. Aber um ein Stück auf die Bühne zu
bringen, muss man immer wieder üben. Das macht nicht immer Spaß, aber ihr werdet stolz
sein, es geschafft zu haben!"
Sind das dieselben Kinder, die vor anderthalb Stunden mit
wildem Geheule die Turnhalle gestürmt haben und gleich in die Pause nach draußen stieben
werden? Zum Beispiel jener große, kräftige Junge, offensichtlich gewöhnt, den Ton
anzugeben. Es fällt ihm schwer, doch er nimmt sich zusammen, weil die schreckliche
Drohung lautet: "Wenn du nicht mitarbeiten willst, musst du von der Bank aus
zusehen!"
Alle wollen unbedingt mitmachen. Dafür nehmen sie auch die Umarmung in Kauf, die in der
Choreographie vorgesehen ist überaus peinlich in diesem Alter. Zwei trauen sich
und probieren es aus. Manche kichern. Aber: "Respekt vor der Arbeit der anderen! Auf
der Bühne seid ihr keine Kinder mehr, dort stellt ihr etwas vor, dort seid ihr
Tänzer!" Jetzt traut sich schon die halbe Klasse. Die anderen applaudieren.
"Und? War das zum Lachen?" fragt Livia Patrizi. "Nööö!" rufen alle.
Das nächste Mal wird es darüber wohl keine Diskussion geben.
So wie hier wird in 36 Grundschulen in ganz Berlin gearbeitet, in Friedenau auch an der
Fläming-Grundschule, und Schüler, Lehrer und Eltern sind begeistert. Tanz integriert
auch jene Schüler, die sonst nicht durch schulische Leistung hervortreten können
oder sie sogar verweigern. Für den gemeinsamen Auftritt ist ihre Mitwirkung
gleichermaßen wichtig. Das verbindet und motiviert.
Kleine Schritte "so etwas geht sehr langsam, doch Änderungen sind
feststellbar", sagt die Klassenlehrerin Frau Ebner, selbst Musiklehrerin: "Die
Atmosphäre in der Klasse bessert sich, ebenso die Mitarbeit einzelner Schüler." Es
soll ein paar Kinder mit erhöhtem Förderbedarf in der Klasse geben. Ich kann nicht
herausfinden, welchen das sein könnten. Ein Projekt also, das weiter verfolgt werden
sollte.
Bisher gibt es eine Förderung durch den Kultursenat, die jetzt gekürzt auf
das zweite Schulhalbjahr ausgedehnt wird. Die Eltern, die Schule und die jeweiligen
Fördervereine teilen sich die noch zu entrichtende Summe von 70 bis 80 Euro pro Kind und
Halbjahr (je nach Klassenstärke). Wer im kommenden Halbjahr neu dazustoßen will, muss
sich beeilen, es können weniger Schulen angenommen werden als zuvor. Und dann?
Wünschenswert scheint eine Zusammenarbeit mit dem Schulsenat, damit eine zusätzliche
Schulstunde für den Tanz bewilligt wird. Bisher werden Stunden aus den Bereichen Musik
und Sport für die Projektarbeit genutzt, doch man will und darf natürlich nicht auf
Lerninhalte wie Notenlesen, Musizieren oder ähnliches verzichten. Langfristig möchte
Livia Patrizi, die Initiatorin der "TanzZeit Zeit für Tanz an
Grundschulen" die Schulen für eine bis zu dreijährige Zusammenarbeit gewinnen.
Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir, heißt es. Gilt das auch für
den Tanz?
Abgesehen von der körperlichen, musischen und sozialen Kompetenz, die man beim Tanz
erwirbt, steht am Ende einer tänzerischen Ausbildung auch ein Brotberuf. Livia Patrizi:
"Ich habe einen neunjährigen Jungen mit enormer Begabung unter meinen Schülern. Ich
werde alles daransetzen, ihm auch nach dem Projekt den Zugang zum Tanz offenzuhalten, denn
ein solches Talent muss man einfach nutzen!"
Am 19., 20. und 21. Januar wird es Gemeinschaftsvorstellungen der teilnehmenden Schulen in
der "Pumpe" in Tiergarten geben (Lützowstr. 42, Tel. 264 84 830). Die genaue
Uhrzeit ist im Januar dort zu erfragen. Die Aufführungstermine an den Schulen waren bei
Drucklegung noch nicht bekannt.
Kontakt: ZTBerlin,
Tel. 787 08 730,
TanzZeit Hotline: 0160-6034445 (baumgart@ztberlin.de)
Sanna von Zedlitz
Dezember 2005 Stadtteilzeitung
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