Ernst Karbe ist der Bilderbär
Foto: Ernst Karbe in der Mitte, rechts seine Frau und eine
seiner Töchter, bei einer Rosenpflanzaktion auf dem Mittelstreifen der Hauptstraße im
Frühjahr 2005 unter tatkräftiger Mithilfe von Anwohnerinnen
Ich war mir darüber bewußt, eine große Aufgabe zu übernehmen, indem ich mich anbot,
einen Artikel über den "Bilderbär" zu schreiben. Als der Name gefallen war,
wurde es in der Redaktion gleich laut. Jede wußte eine Geschichte über ihn oder seinen
Laden zu erzählen. Ich bin selber keine Friedenauerin, brauchte aber nicht lange um zu
begreifen, daß der Bilderbär hier eine Institution im Kiez ist.
Ich bin ja auch nicht die Erste, die über den Bilderbären berichtet. Es gab schon
diverse Zeitungsartikel, und neulich erst gab es einen Bericht über ihn und seinen Laden
im Fernsehen. Was ist also so interessant am Bilderbären?
Man merkt schon beim Anblick des Ladens, daß hier irgendwas anders ist. Denn ein normaler
Geschäftsmann platziert nicht lauter Stoffbären auf Bänke, Bordstein und sogar auf
Autos und Motorräder, die vor seinem Laden parken, um "die Menschen lächeln zu
sehen". Vor seinem Laden stehen auch einige Ständer mit Postkarten und
Schreibwarenmaterialien. Teilweise sind sie schon ausgeblichen vom Sonnenbad auf dem
Bürgersteig der Fregestraße 74a.
Ich betrete den Laden und stelle fest, daß ich ihn nur schwer zuordnen kann. Er ist weder
Schreibwarenladen, noch Fotofachgeschäft, noch Copyshop, noch Geschenkartikelladen, und
doch kann ich all die Leistungen, die mir diese Geschäfte bieten, hier in Anspruch
nehmen. Und noch mehr.... und das ist es vor allem, was den Bilderbären ausmacht: Alle
nennen ihn den Bilderbären, aber es ist nicht nur der Laden, sondern vor allem die
Person, zu der die Kunden gerne gehen. Ernst Karbe ist der Mann mit den blonden Haaren,
dem milden Blick und der ruhigen Stimme, der seit 18 Jahren das Geschäft führt. Ich bin
eine Viertelstunde im Laden, plaudere mit ihm und sehe eine Menge Kunden kommen und gehen.
Nach und nach glaube ich zu begreifen: Mir kommt es vor, als sei dieses Geschäft nur ein
Mittel zum Zweck, um nah an den Menschen zu sein, ihren Alltag zu teilen, einen Ort mitten
unter ihnen zu schaffen, wo sie nicht nur als Kunde hinkommen können, sondern vielleicht
auch ein Wort bekommen, das sie gerade benötigen. Und das, ohne danach zu fragen. Ernst
Karbe macht auf mich den Eindruck, jemand zu sein, der die Menschen versteht, einen
Gesichtsausdruck, eine Körperhaltung zu deuten vermag und das passende Wort findet, ein
dankbares Lächeln oder ein Augenzwinkern hervorzuzaubert.
Er kommt mir ein wenig vor wie eine Art Seelsorger in seiner Kundengemeinde. "Jeder
ist ein Seelsorger", meint er dazu und erwähnt auch den Zeitungsladen schräg
gegenüber, bei dem die Anwohner tagtäglich einkehren als in einen Ort, an dem Menschen
sich aufgehoben fühlen. Ein Ort, der ihnen Sicherheit gibt und wo sie einen Rat einholen
können oder eine Sorge loswerden. Aber ich verstehe auch, was er eigentlich meint,
nämlich, daß es ganz natürlich ist, für andere Menschen da zu sein, jeder kann das.
Der eine macht das im Familienkreis, der andere arbeitet im sozialen Bereich, und wieder
andere leben diese Mitmenschlichkeit in einem Geschäft aus, bei dem einen Stoffbären vor
der Haustür Willkommen heißen.
Es ist herrlich, wieviel Wahrheit und Liebe auf natürliche Art hinter seinen Worten
steckt.
Es fiel mir nicht leicht, diesen Artikel zu schreiben. Viele Sätze habe ich
hingeschrieben und sogleich wieder gelöscht. Hier paßte keine Effektheischerei und auch
keine simple Ortsbeschreibung. Ich neigte dazu, mich zu verlieren in psychosozialen
Beschreibungen seiner Person und unserer Gesellschaft. Aber wo ich auf so viel
Natürlichkeit treffe, kommen mir die Worte so überflüssig vor. Ich möchte am liebsten
nur "Bilderbär" sagen und mit dem Auge zwinkern, jeder weiß dann, was gemeint
ist. Darum verliere ich mich nicht in Überflüssigem und Unpassendem, möchte Ihnen,
liebe Leser, nur noch mitteilen, was ich erfahren habe auf meine Frage, die Sie sich
vielleicht auch schon gestellt haben: Woher hat er seine Weisheit? Daraufhin lächelt er
und sagt, mit dieser wohltuenden Ruhe, seine Großmutter sei eine großartige Frau
gewesen, von der er viel gelernt hat. Außerdem begleiten ihn vier Frauen auf seinem
Lebensweg, seine Frau, mit der er seit 40 Jahren verheiratet ist und seine drei Töchter.
Dieser Satz fühlt sich für mich als Frau natürlich gut an. Ein zuviel an Stolz wird
aber gleich gedämpft durch seinen Nachsatz: "Außerdem habe ich lange Zeit eine
Fußballmannschaft trainiert...".
Der "Bilderbär" gibt die Geborgenheit eines Bären und strahlt auch dessen Ruhe
aus. Aber in der Tiersymbolik würde ich ihm eher die Eule zuordnen.
Sonja Alexa Schmitz
Dezember 2005 Stadtteilzeitung
< Inhaltsverzeichnis
|