Die Zukunft beginnt heute
Kürzungen in der Jugendhilfe


An Einsparungen und Etatkürzungen in vielen Bereichen sind wir seit längerem gewöhnt. Je nach Lobby der Betroffenen sind die Aufschreie darüber mal leiser, mal lauter und irgendwie wurstelt man sich dann durch.

Es gibt jedoch sensible Bereiche, in denen Etatkürzungen einen schleichenden Prozess auslösen und zukünftige gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben, von denen dann jeder Bürger betroffen ist.

Eine solche Lawine könnte die weitere Einsparung in der Jugendhilfe werden. Es wurde zwar diskutiert und demonstriert, aber bisher ohne Erfolg. Die tatsächliche Tragweite der Mittelkürzung wird erst in einigen Jahren offenkundig - ein schleichender Prozess. Fassungslos schauen wir dieser Tage auf die Geschehnisse bei unserem Nachbarn Frankreich und jeder fragt: wie konnte das passieren, was hat dazu geführt? Ein Kriterium ist sicherlich: Kurzsichtigkeit der Politiker.

Ausschreitungen wie in Paris hält Helmut Wittmann, gemeinsam mit Simone Mennecken Leiter der Jugendhilfestation Schöneberg/ Mitte, zwar für unwahrscheinlich, aber bereits jetzt ist im Schöneberger Norden eine bedrohliche Entwicklung zu beobachten: die Zahl der auffälligen, nicht betreuten Kinder und Jugendlichen hat stark zugenommen, die Folge ist eine Abwanderung der Einzelgewerbe und Wegzug der "normalen" Familien. Es sind nicht ausschließlich Jugendliche aus Migrantenfamilien, die Migrantenfälle entsprechen annähernd dem Bevölkerungsdurchschnitt.

Jugendhilfe wird sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich geleistet - je nach Schwere des Falles und des Betreuungsbedarfs. Die Eltern melden sich selbst oder die Schulen melden dem Jugendamt verhaltensauffällige Schüler, das Jugendamt stellt nach Prüfung einen Betreuungsbedarf fest, die freien Träger übernehmen die Betreuung. In den weniger schweren Fällen findet dann bei Kindern eine Betreuungshilfe in Form von mehrmals in der Woche anberaumten Beratungsgesprächen statt, eine erweitere Form dieser Betreuung ist die Familienhilfe - das heißt nicht nur das einzelne Kind wird beraten, sondern die gesamte Familie - und zwar in allen Lebensbereichen. Diese Form der Prävention, um ein weiteres Abrutschen der Kinder und Jugendlichen zu vermeiden, bzw. sie wieder einzugliedern, hat sich auch durch die verstärkte Kooperation der Jugendämter mit den freien Trägern sehr bewährt. Und genau hier werden sich die Mittelkürzungen auswirken.

Die Kriterien für die Feststellung eines Beratungsbedarfs müssen hochgeschraubt werden. Konkret heißt das: es wird erst dann Hilfe gewährt, wenn der Fall bereits eine Dimension erreicht hat, die intensivere Hilfe erfordert. Das ist mit höheren Kosten verbunden, ganz abgesehen von den "verdeckten" Kosten, die sich gesamtwirtschaftlich durch drogenabhängige oder kriminelle Jugendliche, denen nicht rechtzeitig geholfen werden konnte, ergeben.

Prävention und Zukunftsorientierung ist allerorten groß in Mode: wir werden von einer Vorsorgeuntersuchung zur nächsten gescheucht, Gewerbeimmobilien sollen auch dem wachsenden Bedarf der nächsten Jahrzehnte noch genügen (z.B. der hochsubventionierte und überdimensionierte neue Hauptbahnhof oder die zigtausend Quadratmeter leerstehender Büro- und Gewerbeflächen in Berlin), aber das, was unsere Zukunft tatsächlich ausmacht, die kommenden Generationen, die genau das alles nutzen und beleben sollen, die bekommen immer häufiger keine Chance, da wird kurzsichtig gespart. Und irgendwann fragen wir uns dann wieder fassungslos: wie konnte es soweit kommen?

Rita Maikowski


Dezember 2005  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis