Gewerbe im Kiez: Komplimente für den Wiener


  
Ludwig Chlubna zelebriert mit seinem "Weinbeisser" österreichische Lebensart in der Handjerystraße.

"Es kann sein, daß wir ab und zu mal unterbrochen werden," hatte Ludwig Chlubna, Inhaber des österreichischen Wein- und Spezialitätengeschäftes "Weinbeisser" gesagt. "Aber kommen Sie ruhig gegen Abend im Laden vorbei." Und richtig: Kaum habe ich das Ecklokal in der Handjerystraße betreten, kommt ein Kunde nach dem anderen durch die Tür. Aber, von Ludwig Chlubna gut versorgt mit einem "Kleinen Schwarzen" - kein Abendkleid, sondern ein österreichischer Espresso - und einem Stück Linzer Schnitte nehme ich auf der eigens herbei geschleppten Gartenbank Platz und schaue mich um.

Stilvoll-rustikal würde man die Einrichtung wohl nennen: drei Bistrotische, bauchige Flaschen mit Apfelessig, kleine sechseckige Gläser mit Marmelade ("70% Fruchtgehalt") und sorgfältig in Holzregale gestapelte Weingläser. Auf den Schränken aufgetürmte Weidenkörbe aller Art, Fächer von Karaffen dunkelgrünen, zähflüssigen Kürbiskernöls und natürlich jede Menge Weinflaschen. Dazwischen, überall wo Platz ist, handbeschriebene Tafeln, auf denen zu lesen ist, was es beim "Weinbeisser" so alles gibt. Heute ist das z. B. Kohlrabisuppe, die ich Ludwig Chlubna einer Kundin anpreisen höre: "Nichts weiter als gelbe Rüben aus Österreich, Erdäpfel, Kohlrabi, Zwiebeln sind da dran." "Oh, Danke", tönt es andächtig vom Tisch. Geschäftig eilt der Wiener wieder in die Küche. "Bin gleich da!" höre ich es im Vorbeigehen, bevor aus dem hinteren Teil des Ladens das Schraubgeräusch einer Pfeffermühle erklingt. Und zwischen Kohlrabisuppe und dem nächsten Kunden hat Ludwig Chlubna Zeit.

Nein, gelernter Koch ist er nicht. Aber seit zehn Jahren Gastronomie erfahren, als er 1996 sein Geschäft an der Ecke Schnackenburgstraße eröffnet. Da ist er zwar erst seit einem Jahr von Wien nach Berlin "übergesiedelt", aber mit genau diesem Haus seit 1985 aufs Beste vertraut - die damalige Freundin wohnte zwei Etagen über dem heutigen Laden. Statt seinem Geschäft mit den Worten "Austria" oder "rot-weiß-rot" das nötige Lokalkolorit zu verschaffen, besann sich Ludwig Chlubna eines altwienerischen Ausdrucks: "Ein Weinbeisser ist einer, der beim Heurigen seinen Wein genießt - also kein Säufer, sondern jemand, der den Wein zu schätzen weiß. Statt ihn runterzukippen, kaut er den Wein." Überhaupt ist es genau diese Geniesserkultur, die ihn umtreibt.

"Meine Eltern haben mich schon als Kind ein paar Mal die Woche mit zum Heurigen genommen. Das hatte nichts mit dem oft übermäßig touristischen Image von heute zu tun", erzählt er in unverkennbar wienerischer Mundart. Das Zelebrieren des Alltäglichen, dieses auch mediterrane Element ist es, was er in seinem Laden pflegen will.

Ein Grauhaariger mit fragendem Blick und Weinflasche in der Hand nähert sich. Der "Weinbeisser"-Inhaber springt auf und eilt ihm entgegen. "Kann ich den Wein einem Schwaben anbieten?" fragt der Kunde. "Probier ihn - ich habe ihn gerade offen." Und der Herr bekommt ein Viertel Weißwein an den Tisch gebracht.

"Österreich braucht sich nicht zu verstecken," meint Ludwig Chlubna, wieder zu mir gewandt. "Wir sind nicht nur das Land der Mozartkugeln und Mehlspeisen - da will ich hier schon mit den Klischees a bisserl aufräumen." Die Weine in seinem Sortiment stammen alle von ihm persönlich bekannten Winzern, die Speisen sind direkt importiert. Etwa alle sechs Wochen fährt er nach Wien, um einzukaufen. Praktisch für ihn dabei: "Ich habe noch ein Bein in Wien - meine Mutter und meinen alten Hund." Österreichische Hersteller haben Chlubnas Meinung nach nur eine Chance auf dem Markt, wenn sie exquisite Qualität liefern - denn sie produzieren kostenintensiv in kleinen Mengen.

"Bonum vinum est" - der Kunde mit dem Schwaben-Freund ist zurück und kauft die Flasche. Zwischenzeitlich wendet sich ein Herr von einem anderen Tisch an die Redakteurin: "Sie haben sich mit dem Weinbeisser hier wirklich einen wunderbaren Kieztreff ausgesucht. Ich komme fast täglich hierher und trinke abends noch einen Kaffee."

Zurück zu Chlubna. Inzwischen ist sein Geschäft so erfolgreich, daß er auch Catering-Dienste anbietet - z. B. Buffets aller Art mit Heurigen-Spezialitäten und selbstgemachten Brotaufstrichen, wahlweise auch mit warmen Speisen bis hin zum Rindfleisch in Kürbiskernöl. Bis zu vier Mal im Jahr hat er in seinem Laden Weinproben mit den Winzern, deren Weine er anbietet.

Friedenau ist für ihn und seine Familie Heimat - trotz Umzug von der Schnackenburg- in die benachbarte Albestraße vor Kurzem. Vor einiger Zeit hatte er überlegt, seinen Laden an eine belebtere Stelle im Kiez zu verlegen. Doch dann hat er sich dagegen entschieden. "Das hier ist einfach meine Ecke. Ich habe das hier angefangen, und solange es irgend geht, will ich das genau hier an dieser Stelle weitermachen. Das ist einfach ein wahnsinnig tolles Umfeld." Und wie fühlt sich ein Wiener in Berlin? "Sauwohl. Ich fasse es als Geschenk des Schicksals auf, in zwei so schönen Städten zu Hause sein zu dürfen. Und wo kriege ich sonst immer wieder Komplimente für mein Wienerisch?"

Claudia Fenske

Weinbeisser
österreichische Weine und andere Spezialitäten,
Handjerystraße 90, 12159 Berlin, Tel. & Fax. 8592486,
Öffnungszeiten: Di-Fr 11 bis 20 Uhr; Sa 10 bis 16 Uhr; 
E-Mail: weinbeisser-berlin@gmx.de

 

Juli/August 2005  Stadtteilzeitung Inhaltsverzeichnis

für Besucher aus der Kiezbox: zurück zur Kiezbox