Die neue Zielgruppe
Senior Model Agentur in Friedenau

Nicola Siegel, Foto: Sabine Wild

Es gibt wohl keinen Beruf, der heute ähnlich allgegenwärtig ist wie der eines Models. Von allen Plakatwänden, aus jeder Zeitschrift lächeln schöne Gesichter uns an. Inzwischen allerdings sind es nicht mehr ausschließlich faltenfreie, kaum ins wahlfähige Alter gelangte junge Menschen: Zunehmend werden auch offensichtlich erwachsene Männer und Frauen, und das reife und hohe Alter als werbefähig erkannt. Langsam dämmert es auch dem letzten in der Werbebranche: Der Anteil überaus kauflustiger Jugendlicher in der Gesellschaft sinkt unaufhaltsam, während ihre Großeltern und Eltern die weitaus größere Bevölkerungsgruppe stellen. Diesen potentiellen Käufern aber will geschmeichelt werden. Das gelingt eben nur mit attraktiven gleichaltrigen Identifikationsfiguren.

Dies eingedenk, gründete Nicola Siegel 2003 in Berlin die Senior Model Agentur, die unter demselben Label auch in Palma de Mallorca und München arbeitet. In der Wilhelm-Hauff-Str. 1 vermittelt sie Profis im Alter von 30 - 45 ("Classic") und 45 - 80 ("Senior") - ausschließlich. "Es kommt nur selten vor, dass jemand, der sich bei uns vorstellt, auch für die Arbeit geeignet ist, deshalb arbeiten wir nur mit professionellen Models." Da dachte man, der ideale Job lauert gleich um die Ecke - was genau hat man sich unter einem professionellen Model denn vorzustellen?

Erfahrung mit der Arbeit am Set muss man mitbringen. Am besten hat man bereits in jüngeren Jahren als Model gearbeitet und will nun wieder anfangen, oder man hat eine Schauspielausbildung. Es kommt nämlich darauf an, sagt Frau Siegel, den Anweisungen des Fotografen oder Regisseurs rasch, ohne nähere Erklärungen und präzise Folge zu leisten, ohne Diskussionen um Haltung oder Text und am besten stundenlang, ohne Ermüdungserscheinungen. Durchhalten ist die Devise, sich einfügen in die Hierarchie, die die Produktionskosten diktieren. "Ich habe ein 87jähriges Model, das ohne mit der Wimper zu zucken auf den entsprechenden Anruf hin ein Ticket von Hamburg nach Hannover bucht, 12 Stunden am Set Aufnahmen macht und abends mit der Bahn wieder zurück nach Hamburg fährt. So eisern sind nur Profis," meint Nicola Siegel.

Seit 15 Jahren kennt sie die Branche von allen Seiten. Schon als Schülerin arbeitete sie selbst als Model und wurde später Fotojournalistin. Damit wechselte sie auf die Seite der Arbeitgeber und lernte deren Ansprüche kennen. Ihr "guter Riecher" für ein fotogenes Gesicht verhalf ihrer Berliner Agentur dann auch zum Erfolg. Ihre Kunden wissen, dass sie die richtige Besetzung für das Werbefoto oder den Fernsehspot finden wird. Gemeinsam mit den Agenturen in München und auf Mallorca gibt es einen Pool von ca. 1500 Models, auf den bei Bedarf zurückgegriffen werden kann. Doch der Markt ist begrenzt, die Nachfrage kaum so, dass ein Model ausschließlich davon leben könnte. Deshalb kann die 87jährige Ilse auch die besonders harten Tage durchstehen: Anschließend schläft sie eben zwei Tage lang. Disziplin gehört nun mal dazu.

Die meisten Blindbewerbungen muss Frau Siegel daher zurückweisen. Außerdem: "Wie ein Mensch wirkt, zeigt sich erst auf dem Foto." Und was ein Fotograf mit "Ein klein wenig nach links" meint, erfasst auch nicht jeder sofort. Es gibt ein paar Tricks, die Frau Siegel in einem Casting-Training, das sie für dieses Jahr plant, einem kleinen Kreis von 8 Personen nahe bringen möchte. Näheres steht allerdings noch nicht fest.

Und was verschlägt eine weltweit arbeitende Agentur nach Friedenau? "Das private Umfeld musste stimmen: Ich will mich an meinem Arbeitsort auch persönlich wohlfühlen und meine Wohnung ganz in der Nähe haben. Friedenau bietet genau die richtige Menschenmischung aus alt und jung, kreativ und bodenständig; es ist ein gewachsenes Viertel mit wunderbarer Infrastruktur, und man kann überall gut essen." Das hören wir gerne!

Sanna v. Zedlitz

Juni 2005  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis

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