Kröten für den Walther-Schreiber-Platz?
Gewerbe im Kiez: Einleitung zu einer Serie von Rita Maikowski

Foto: Sigrid Wiegand     

Foto: Das alte "Hertie" am Walther-Schreiber-Platz soll einer Shopping-Mall weichen

Am Walther-Schreiber-Platz bietet sich zur Zeit ein kurioses Bild: Die farbenfrohe Pracht des Blumenstandes steht in einem seltsamen Kontrast zu dem Hintergrund, vor dem sie präsentiert wird: das vor sich hinrottende Gebäude des ehemaligen Hertie-Kaufhauses.

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Seit Monaten kochen die Emotionen hoch über das Bauvorhaben "Schloss-Strassen-Center", kurz SSC genannt. Nach den Plänen der Investoren, Generali und Tenkhoff Properties, soll nach Abriss des alten Hertie-Hauses eine Einkaufs-Mall mit einer Verkaufsfläche von ca. 16.500 qm, aufgeteilt auf etwa 65 Läden und ein angeschlossenes 3-geschossiges Parkhaus mit rund 400 Stellplätzen, errichtet werden. Die Rampen und Parkdecks sind "offen" geplant - aus Gründen der "Entlüftung ohne technische Anlagen", d.h. der Lärm und die Schadstoffe werden kostenlos in die Umgebung entsorgt. Die Einfahrt soll über die Bornstraße, die Ausfahrt über die Lefèvrestraße erfolgen.

Für den Bau des Parkhauses wird der Abriss eines gebietstypischen Wohnhauses in der Lefèvrestraße erforderlich. Das allgemeine Verkehrsaufkommen in der Schloßstrasse wird sich nach gutachterlichen Berechnungen um 1.600 - 1.800 Pkw und zusätzlich 60 Lkw (Lieferverkehr) pro Tag erhöhen.

Die Öffnungszeiten des Parkhauses sind von 6 - 22 Uhr geplant, bei Änderungen der Ladenöffnungszeiten wäre eine Öffnung rund um die Uhr nicht ausgeschlossen.
Da beim Abriss des alten Kaufhauses Gefahren durch schadstoffbelastete Baumaterialien entstehen, hat das Umweltamt entsprechende Auflagen in Verbindung mit der Abrissgenehmigung formuliert.
Soviel zu den Fakten.

Das vorherige, ursprünglich aus den Jahren 2000/2001 stammende Bebauungskonzept sah für den Neubau eine Mischung aus Kaufhaus, Dienstleistung und Wohnen vor. Dabei war unter anderem geplant, die Bebauung am Blockrand zu konzentrieren und dafür den Blockinnenbereich durch eine Grüngestaltung auf der rückwärtigen Fläche aufzuwerten. Für die Tiefgarage war die Zu/Abfahrt über die Bundesallee vorgesehen. Dieser Ursprungsplan war von allen beteiligten Trägern öffentlicher Belange gebilligt worden. Für diese - städtebaulich sicherlich sehr sinnvolle - Zielsetzung fand sich jedoch letztlich kein Investor. Für den jetzigen Investor setzt die wirtschaftliche Tragfähigkeit eines Einkaufszentrums ein gewisses Volumen voraus, das mit dem ursprünglichen Konzept nicht erreicht werden konnte.

Stellt sich die Frage: cui bono - wem nützt es?
Aus städtebaulicher Sicht ist das Vorhaben, optisch ein Glas- und Stahlbau vielleicht ein weiteres Monument moderner Architektur - für den Kiez nur ein Koloss, der durch Lärm und Schadstoffe die Lebens- und Wohnqualität der Anwohner erheblich reduziert.

Für den Einzelhandel in der Rhein- und Schloßstraße ein Zuwachs an Kunden? Wohl kaum. Das Konzept verfolgt bewusst den Staubsauger-Effekt: mit dem Auto hin, im Gebäude parken und einkaufen und dann wieder weg. Eine gezielte Förderung der Kundenströme vom Center nach außen ist nicht vorgesehen und wohl ja auch nicht gewollt. Das heißt, die angrenzenden Einzelhandelsläden werden nicht von der Mall profitieren, sondern vermutlich noch Kunden verlieren, die durch das erhöhte Verkehrsaufkommen nur abgeschreckt werden. Die Schloßstraße ist ohnehin jetzt schon verkehrstechnisch gesehen eine Herausforderung, wer möchte da freiwillig zwischen weiteren Pkw- und Lkw-Kolonnen einen genussvollen Einkaufsbummel auf der Straße machen?

Und der Investor?
Eine Heuschreckenmentalität soll ihm gar nicht unterstellt werden (bundespolitisch zur Zeit ein beherrschendes Thema, die Kommunalpolitik hat es noch nicht erreicht) - nur, ob sich seine Erwartungen erfüllen werden? Es darf bezweifelt werden. Zum einen liefert der Leerstand von Ladenräumen in Schöneberg und Steglitz ein beredtes Bild der schwindenden Kaufkraft der Konsumenten, oder sei es auch nur vorsichtiges Konsumverhalten in unsicheren Zeiten. Zum anderen gibt es direkt nebenan das 35 Jahre alte Forum Steglitz, das ab Juni umgebaut werden soll, mit weiteren 6.000 qm zu einer Gesamtfläche von 32.000 qm Verkaufsfläche und in der Schloßstraße ein kleineres Center, die Galleria, die sich in den letzten Jahren durch Geschäftsaufgaben und ständig wechselnde Mieter ausgezeichnet hat, nicht gerade ein Indiz für freudiges Konsumverhalten. Und neben dem Rathaus Steglitz wird ein weiteres Einkaufszentrum, die "Schloss-Galerie", schon kräftig im Bau befindlich, errichtet. Kunden aus dem Süden bzw. Südwesten der Stadt oder dem Umland werden dort bereits "abgefangen", warum sollten sie sich auch weiter durch das Nadelöhr Schloßstraße zwängen? Dem erhofften "Knocheneffekt" dürfte damit auch kaum Relevanz zukommen: Diese gerne angeführte Theorie besagt, dass die Kunden in der "Schloss-Galerie" starten und dann die Schloßstraße mit einem Einkaufsbummel bis zum Walther-Schreiber-Platz beleben werden.
Und Parkplätze gibt es auch jetzt schon: das Forum Steglitz bietet satte 600.

Auf Seiten der unmittelbar von den Lärm- und Schadstoffbelastungen betroffenen Anwohner hat sich eine Interessengemeinschaft von 160 Bürgern organisiert, die vehement gegen die Bebauungspläne angehen. Bisher konnte noch keine Argumentation seitens des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg die Einwände vollständig entkräften.
Die Planung für den Ausbau des Flughafens Schönefeld wurde nicht zuletzt von Umweltorganisationen mit dem Argument : "Lebensraumschutz für seltene Krötenarten" gestoppt. In einigen ländlichen Bereichen von Brandenburg hat der Schutz für die Großtrappen die Pläne für landwirtschaftlich ungenutzte Flächen zu Fall gebracht. Die Anwohner des geplanten Bauprojektes am Walther-Schreiber-Platz genießen weniger Schutz.

Die Entwicklung eines Gesamtplanes für den Walther-Schreiber-Platz mit einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Gewerbe und Wohnen und unter Einbeziehung der Einzelhandelssituation in der gesamten Schloßstraße/Rheinstraße ist überfällig. Für die Schaffung eines lebenswerten Umfeldes unter Berücksichtigung aller Interessen wäre eine Zusammenarbeit der Bezirksämter Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg erforderlich, statt des gegenwärtigen offensichtlichen Gegen- oder Nebeneinanders.

Rita Maikowski

 

Juni 2005  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis

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