Ein Unternehmen aus Schöneberg
Gern reklamieren wir den renommierten und in den
Siebziger Jahren umstrittenen Verlag Klaus Wagenbach für Schöneberg. Zwar residiert er
seit wenigen Jahren am Ludwigkirchplatz, doch die längste Zeit verbrachten Klaus
Wagenbach und seine Mitstreiter am Nollendorfplatz. Ein passender Ort für linke
Intellektuelle, die in den restriktiven, hoch konservativen Zeiten des Wirtschaftswunders
und in den Nachwehen von 1968 hier Gelegenheit fanden, ihre unerwünschten Ansichten über
das damals herrschende Demokratieverständnis zu veröffentlichen.
Anarchie statt Konformismus, Geschichtsbewusstsein statt Verdrängung, Heiterkeit statt
Verbissenheit hatte sich Wagenbach auf die Fahnen geschrieben: ein unabhängiger Verlag
jenseits des Mainstream. Mit seinen Büchern handelte sich Klaus Wagenbach sowohl
Gefängnis als auch Attentatsdrohungen durch die Rote Armee Fraktion ein. Er publizierte
Werke ostdeutscher Autoren, was im Kalten Krieg gar nicht gern gesehen wurde, selbst wenn
es sich um Dissidenten handelte.
Manches hat sich bis heute nicht gewandelt, scheint es: Der Totalitarismus ließ sich
trefflich kritisieren, doch durch seine Abwesenheit sind nicht paradiesische Zustände
eingetreten. Unser Umgang mit Demokratie, sei es durch Regierung oder das per definitionem
regierende Volk, lässt immer noch zu wünschen übrig. Der Wagenbach Verlag trägt seiner
aufklärerischen Haltung auch heute noch Rechnung, etwa durch Bücher wie "Demokratie
beim Wort nehmen" von Paolo Flores D'Arcais oder "Krieg, Verbrechen,
Blasphemie" von Ulrich K. Preuß, oder auch durch Pasolinis
"Freibeuterschriften", der sich u.a. damit beschäftigt, wie Konsum Kultur
ersetzt.
Wer aber nicht lesen will, der kann auch hören. Schon 1968 brachte der Verlag mit der
"Quartplatte" etwas heraus, was wir heute als Hörbuch kennen, und diese
Tradition ist bis heute ungebrochen. Für Kinder etwa gab es die Texte von Volker Ludwigs
"GRIPStheater", denn wie das GRIPSmotto sagt: "Ein Kind ohne Kopf ist ein
Krüppel für's Leben".
Inzwischen wird hauptsächlich internationale Literatur publiziert, viel aus Italien
(Klaus Wagenbach war Mitbegründer der sogenannten Toscana-Fraktion, als in den biederen
Sechziger Jahren der italienische Hedonismus für Deutsche einer politischen Haltung
gleichkam), und auch Bildende Kunst kommt zu ihrem Recht.
Oberflächlich betrachtet, gibt es in Deutschland vergleichsweise wenig, wogegen man sich
auflehnen könnte - dennoch ist der Verlag Klaus Wagenbach - inzwischen geführt von
Susanne Schüssler - weiterhin der Aufgabe verpflichtet, zu sagen, was nicht jeder gerne
hören will, und ein politisches Bewusstsein wachzuhalten, wenn nicht zu wecken. Mit fast
500 Titeln leistet sich der Verlag einen enormen Vorrat lieferbarer Bücher. Im
Gesamtverzeichnis zu stöbern, gleicht einer Schatzsuche.
Vom gelebten Sozialismus im Kollektiv der Anfangsjahre ist allerdings nur noch eins
geblieben: Das gemeinsame Mittagessen.
Wer den kostenlosen Jahresalmanach "Zwiebel" beziehen
möchte, schreibt bitte an:
Verlag Klaus Wagenbach,
Emser Str. 40/41, 10719 Berlin.
www.wagenbach.de
Sanna v. Zedlitz
Mai 2005 Stadtteilzeitung
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