Ein ganz normaler Tag
Nachdenken über Organspende und Transplantation


Es ist ein ganz normaler Tag auf der Intensivstation, der Nachtdienst geht, der Frühdienst hat begonnen. Ich bin verabredet mit der Familie einer 20jährigen Patientin. Was ich ihnen sagen muß, wird ihr Leben ändern. Die Untersuchungsbefunde haben ergeben, dass das Gehirn der jungen Frau nicht mehr lebt, die Schwere der Verletzungen hat zum Hirntod geführt.
Die Trauer der Eltern ist unbeschreiblich. Ihr Kind liegt wie gestern beatmet da und ist jetzt tot.
Wie soll ich jetzt auch noch mit ihnen über die Möglichkeit einer Organspende reden ?
Doch nur in dieser Situation, wenn der Hirntod eingetreten ist, besteht die Möglichkeit, Organe zu entnehmen und ich weiß wie viele Patienten warten. Für eine Organspende muß eine Einwilligung vorliegen, idealerweise durch den Patienten zu Lebzeiten. Das ist leider sehr selten, auch meine Patientin hat keinen Organspendeausweis.
Ich frage die Eltern, was ihre Tochter dazu gesagt hätte, was hat sie von Organspende und Transplantation gehalten. Ich erfahre viel aus dem Leben der jungen Frau, sie hätte das sicher gewollt, sagt der Vater, aber ihm falle es so schwer, das zu entscheiden. Was heißt das, was passiert wenn sie zustimmen, fragt er mich. Ich erkläre, dass zunächst Blut abgenommen wird und eine Gewebetypisierung erfolgt, die Ergebnisse Eurotransplant gemeldet werden und dort der Empfänger, der nach Wartezeit und Übereinstimmung am besten paßt, ausgesucht wird. Geht es nur um die Nieren, will die Mutter wissen. Nein, folgende Organe können gespendet werden: Herz, Lunge, Leber, Bauchspeicheldrüse, Nieren, Darm. Nicht immer sind alle Organe für eine Transplantation geeignet, man kann das intraoperativ genau entscheiden.
Ich erkläre den genauen Ablauf, eine Operation wie jede andere, die Patientin kommt beatmet in den OP, nach der Organentnahme wird das Beatmungsgerät ausgeschaltet. Wir gehen gemeinsam ans Bett der Patientin, sie sollen in Ruhe Abschied nehmen, ich lasse sie allein.
Als ich sie wiedertreffe, haben sie sich entschieden. Sie können ihrer Tochter nicht mehr helfen, aber durch sie anderen etwas Gutes tun. Ihre Tochter hätte das so gewollt.
Das das Herz in einem anderen jungen Menschen weiterschlägt, hat fast etwas Tröstendes, sagt mir die Mutter, sie würde gern erfahren, ob es dazu gekommen ist und ich verspreche ihr, dass sie von der DSO (Deutsche Stiftung Organtransplantation) einen Brief erhalten wird, in dem ihr zwar nicht die Namen der Empfänger, aber die Tranplantationsergebnisse mitgeteilt werden.

Nach der Operation werden sie mit allen Familienmitgliedern noch einmal wiederkommen, um sich zu verabschieden.
Ich bedanke mich auch im Namen der Empfänger bei den Eltern. Als wir uns verabschieden, umarmen wir uns spontan – auch für mich ist das kein ganz normaler Tag.

Dr. C. Pohle,
(Tranplantationsbeauftragte, Virchow Klinikum der Charité)

November 2005  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis