Der Barbarossaplatz
Sehnsucht nach der guten alten Zeit

Foto: Archiv Tempelhof-Schöneberg
Der Barabarossaplatz um 1910

Ein 100 Jahre alter Schmuckplatz. Ein Namensgeber, der – je nach Version der Legende – nach tausend oder schon nach jeweils hundert Jahren aufwacht und zurückkehrt. Ein Stoff zum Träumen an dunklen Novemberabenden. Die Sehnsucht nach dem Mittelalter hatte zum Ende der Kaiserzeit Hochkonjunktur. Auch Namen in der Umgebung stammen aus der Entstehungszeit des Platzes: Kyffhäuser- und Hohenstaufenstraße.
Barbarossa? Zeichnung von Elfie Hartmann
Kaiser Barbarossa schläft im Kyffhäuser, sein Bart ist im Laufe der letzen Jahrhunderte unendlich weitergewachsen: um den Tisch herum, durch den Tisch hindurch, es gibt mehrere Varianten. Er wird wahlweise von Raben oder einem Zwerg im schon erwähnten Zeitrhythmus geweckt und wird zurückkehren.

Unser Barbarossaplatz liegt so ruhig und abseits des Großstadtlärms, dass der Kaiser auch hier schlafen könnte. Er könnte höchstens vom Betrieb der Volkshochschule Schöneberg irritiert werden. Bis in die Abendstunden sorgen die Schüler und Dozenten für reges Leben am Platz. Egal, ob es um berufliche Bildung oder um private Interessen geht, das Programm der VHS ist sehr vielfältig. Die VHS teilt sich das Gebäude, das schon aufgrund seiner Architektur ein Magnet ist, mit der 18. Grundschule Schöneberg. Es scheint das einzige Überbleibsel aus der Entstehungszeit des Platzes um 1905 zu sein. Aber es ist ebenso im Bombenhagel getroffen worden wie die Häuser der Umgebung.


Eingang der heutigen Volkshochschule

Gegen Kriegsende wurde das (Rest-)Gebäude als Lazarett genutzt und danach als Außenstelle des Auguste-Viktoria-Krankenhauses. Der Wiederaufbau erfolgte sehr spät, erst 1986.

Foto: Archiv Tempelhof-Schöneberg
Der Barbarossaplatz nach Kriegsende

Zu dieser Zeit konnte man sich schon einen sensibleren Umgang mit der Bausubstanz erlauben als in der Nachkriegszeit. Die Formensprache der vorhandenen Altbauteile wurde wieder aufgenommen, auch wenn bei der inneren Struktur Anpassungen an die neuen Nutzerbedürfnisse erforderlich waren. Details wie die Wiederherstellung des Renaissancegiebels an der Barbarossastraße entfielen aus Kostengründen. Ab 1989 stand das Gebäude für die VHS und die Grundschule zur Verfügung.

Während eines Kreuzzuges ins Heilige Land ertrank Kaiser Barbarossa 1190 im Fluss Saleph in Kleinasien (der heutigen Türkei). Er wurde samt Rüstung und Pferd von den Fluten weggerissen, seine Gefolgschaft musste ohne ihn weiterziehen. Weil es keine sterblichen Überreste gab, entstand schon bald die Barbarossa-Sage vom Herrscher, der nur schläft und bald zurückkehrt.

Am Barbarossaplatz finden wir Wasser nur in seiner harmlosesten Form: Auf der Mittelinsel steht der Kinderbrunnen. 1912 schuf der Bildhauer Constantin Stark einen Muschelkalk-Brunnen mit acht (resultierend aus der achteckigen Grundform) spielenden Kinderfiguren. Die Bronzefiguren wurden im Krieg eingeschmolzen. Im Zuge des Wiederaufbaus der Schule widmete man sich auch dem Brunnen. Die Kunsthistorikerin Sabine Hannesen fand alte Unterlagen über das ursprüngliche Aussehen der Figuren, der Künstler Heinz Spilker empfand nach diesen Vorlagen die neuen Figuren nach.
Warum Kinderdarstellungen? Als Schönebergs Bevölkerung noch kräftig wuchs, wurden neue Schulen gebraucht. So entstand 1907 der Neubau am Barbarossaplatz. Die Planung und Baudurchführung oblag der Gemeinde, federführend war der Stadtbaurat Paul Egeling, die Kosten beliefen sich auf 946.000 Goldmark. Besonders bemerkenswert jedoch ist, dass hier eine höhere Mädchenschule mit fast tausend Schülerinnen einzog und nach mehreren vorherigen Standortwechseln ihren festen Sitz bekam. Zu dieser Zeit setzte sich die Erkenntnis durch, dass auch Mädchen eine gute Bildung brauchen, um ihre Lebensaufgaben zu meistern. Der Lette-Verein am Viktoria-Luise-Platz entstand ebenfalls in dieser Zeit. Ab 1908 war die Chamisso-Schule fester Bestandteil in Schöneberg.

Wenn der fortwährend wachsende Bart des schlafenden Kaisers seine volle Länge erreicht haben wird, werden die um den Kyffhäuser kreisenden Raben von einem stolzen Adler vertrieben.

Der Kyffhäuser in Thüringen hat durch ein Denkmal auf seinem Gipfel einen touristischen Anziehungspunkt. Die Kyffhäuserstraße, die man vom Barbarossaplatz aus über die Frankenstraße erreicht, ist dagegen eine ruhige Wohnstraße mit einladenden kleinen Cafes und Geschäften. Ob der Name "Phoenix" für das Restaurant auf der Ecke etwas mit dem erwähnten Adler zu tun hat, bleibt der Fantasie des Besuchers überlassen.
Apropos Fantasie, die langen Novemberabende bieten wieder eine Gelegenheit, die eigenen Kreativität auszuleben. Beim weiteren Rundgang durch den Kiez finden Sie in der Goltzstr. 37 den Hobbyshop "Wilhelm Rüther", der seit 1969 besteht und seit 1978 hier ansässig ist. Ständig wurde erweitert, hier findet man ein so umfangreiches Sortiment, dass kein Bastelwunsch offen bleibt. Kundenspruch: "Wenn ich es nicht bei Ihnen bekomme, dann wohl nirgendwo." Spezialabteilungen für Künstlerbedarf, Keramik- oder Perlenschmuckherstellung sind seit den neunziger Jahren hinzugekommen. Schulen, Kindergärten und Therapieeinrichtungen in Krankenhäusern werden beliefert. Besonders hervorzuheben ist jedoch, dass dieses Familienunternehmen kontinuierlich Auszubildenden den Weg ins Berufsleben ermöglicht (www.hobbyshop.de).

Nicht nur Friedrich I. wird als der historische Barbarossa angesehen, auch der Stauferkönig Friedrich II. wird genannt. Die Staufer waren eine Adels- und Königsfamilie auf der schwäbischen Alb. Ihre Stammburg hatten sie auf dem Hohenstaufen. So erklärt sich der Name für die Hohenstaufenstraße.
Kaiser Barbarossa wird zurückkehren, um Frieden und Einheit zu stiften. Eine schöne Legende aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Ereignisse der letzten Wochen boten einen Anlass, an diesen uralten Menschheitstraum zu erinnern.

Marina Naujoks

November 2005  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis