Diversion - oder die Vermeidung eines Jugendstrafverfahrens
Einsicht jugendlicher Straftäter gefordert

Wenn Jugendliche straffällig werden, sehen sie sich oft erstmalig der einschneidenden Autorität staatlicher Institutionen ausgesetzt. Die Polizei nimmt sie fest, vernimmt die – wie alle jedoch schweigeberechtigten – Jugendlichen und ermittelt das Geschehen. Anschließend übergibt sie das Verfahren an die Staatsanwaltschaft, die auch die Eltern der Jugendlichen in Kenntnis setzt. Die Dinge nehmen sozusagen ihren förmlichen Gang. Dieser Gang kann vor dem Jugendrichter und mit einer Verurteilung enden.

Vor dem Hintergrund erzieherischen Einflusses und der Vermeidung negativer Folgen, wie Brandmarkung als Krimineller und stationärer Sanktionen, eröffnet das Jugendgerichtsgesetz vielfältig die Möglichkeit, das Strafverfahren auf andere Weise vorzeitig zu beenden. Gerade strafbare Handlungen Jugendlicher müssen nicht Ausdruck einer kriminellen Gesinnung und der Beginn einer kriminellen Karriere sein. Entwicklungsbedingte jugendtypische Unbedachtsamkeit und Überreaktionen verlangen meist nur einer erzieherisch geprägten Einwirkung.

Zu diesem Zweck soll die gesetzlich begründete Diversion ("Vermeidung") zu anderen Lösungen als der Durchführung des förmlichen Strafverfahrens führen.
Die Diversion bedeutet konkret ein Absehen von der Verfolgung oder Einstellung des Strafverfahrens gegen Jugendliche und Heranwachsende, wobei dem Betroffenen meist erzieherische Maßnahmen auferlegt werden. Der Begriff der erzieherischen Maßnahmen setzt dem Erfindungsreichtum, auch des betroffenen Jugendlichen und seines Beistands, prinzipiell keine Grenzen; so können bei einer Gewalt- oder Drogenproblematik die Teilnahme an Drogenberatungen und Drogentherapien bzw. an Anti-Gewalt-Seminaren oder ein Täter-Opfer-Ausgleich wirkungsvoll sein. Auch ein ernsthaftes Bemühen des Jugendlichen um Wiedergutmachung gegenüber seinem Opfer kann honoriert werden. Anzuraten bei jeder Art von Delikten sind beispielsweise Initiativen, die auf den Erwerb eines Ausbildungsplatzes oder auf andere Formen einer Berufsvorbereitung zielen.

Statistisch betrachtet werden in Deutschland mehr als die Hälfte aller Jugendstrafverfahren durch eine Diversion beendet, welche besonders den so genannten Erst- und Zweittätern zugute kommt.

Jedoch kann eine Diversion im Einzelfall auch nachteilig für den Jugendlichen sein: Zum Teil wird von ihm ein Geständnis abverlangt, welches er unter dem Druck seiner Umwelt bereitwillig und eventuell fälschlich bekundet, um das förmliche Strafverfahren zu umgehen. So kann er im Ergebnis staatlichen (erzieherischen) Maßnahmen unterzogen werden, ohne dass seine Schuld an der vorgeworfenen Tat wirklich feststeht.

Alternativ zur Diversion stünde die besagte Gerichtsverhandlung mit Urteil zur Feststellung der Schuld. Aber langfristigere positive erzieherische Einwirkung auf den Jugendlichen verspricht jedenfalls der Kontakt zu ausgebildeten Jugendsozialarbeitern.
Horst Freese vom Kinder- und Jugendzentrum "VD 13" betrachtet es als besonders sinnvoll, mit dem Jugendlichen vor der Ableistung von Arbeit als erzieherische Maßnahme ein ausführliches pädagogisches Gespräch zu führen. Denn das alleinige Absolvieren einer "Strafarbeit" stellt für den Jugendlichen keinen verständigen Bezug zu seinem geahndeten Verhalten her: die Arbeit wird erledigt, das war´s.

Das Nachbarschaftsheim Schöneberg e. V., zu dem auch das Kinder- und Jugendzentrum "VD 13" gehört, wird im Übrigen in Zukunft als offizieller Träger bei der Durchführung und Vermittlung jugendstrafrechtlich angeordneter Auflagen und Weisungen auftreten.

Wolfgang Kotsch
Rechtsanwalt

Oktober 2005  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis