Genossenschaftliches Wohnen zwischen
Eyth-, Röbling- und Arnulfstraße Wer wünscht
sich das nicht - gerade jetzt wieder - eine starke Gemeinschaft im Rücken zu haben, wenn
der Existenzkampf härter wird? Die Idee der Genossenschaft umfasste mehr als
kostengünstiges Wohnen. In der Siedlung Lindenhof, die unmittelbar nach dem Ersten
Weltkrieg gebaut wurde, stand gemeinsames Leben auf dem Programm: Man kochte in der
Gemeinschaftsküche für alle Bewohner, eigene Kinderbetreuungseinrichtungen sowie eine
Grundschule gehörten dazu, und im Laden an der Ecke konnte man anschreiben lassen. Die
Selbstversorgung durch Obst- und Gemüseanbau in den Hausgärten vervollständigte das
Konzept.
Schon 1912 gab es erste Überlegungen des damaligen Schöneberger Bürgermeisters
Alexander Dominicus, eine Kleinhaussiedlung auf dem Gelände des Vorwerks
"Lindenhof", das damals noch der Familie Willmann gehörte, zu errichten. Der
Erste Weltkrieg brachte diese Pläne zum Erliegen. Die Ernennung Martin Wagners zum
Stadtbaurat von Schöneberg 1918 brachte "Schub" in das Projekt: Noch im selben
Jahr begannen die Bauarbeiten. 127 Vier- und 75 Einfamilienhäuser entstanden. Jeder
Wohnung war ein 80 m² großer Garten zugeordnet worden, der die Selbstversorgung der
Mieter ermöglichen sollte. Bruno Taut entwarf das Ledigenheim, Leberecht Migge die
Außenanlagen.
Obwohl von Anfang an als eine Siedlungsgenossenschaft gegründet werden sollte, lief das
Projekt zunächst als Sozialer Wohnungsbau. 1920 schlossen sich 53 Mieter zu einem Verein
zusammen, bis 1921 waren es schon 304. Nach langen Diskussionen, besonders über das
Risiko des Einzelnen, kam es 1921 zur Gründung der Genossenschaft "Siedlung
Lindenhof e.V."
Die spezielle Lage zwischen Bahn- und Industriegelände verstärkte noch das Gefühl, auf
einer gemeinsamen Insel zu sein. Inflationszeit und Weltwirtschaftskrise wurden so
gemeinsam überstanden. Erwähnenswert sind die Sportvereine des Lindenhofs und der
Mandolinenclub "Die wimmernden Kürbisse". Natürlich gab es auch
zwischenmenschliche Konflikte, die aber ausgeglichen wurden (Anzeige im Mitteilungsblatt:
"Die schweren Beleidigungen, die ich gegen die Familie Römer öffentlich
ausgestoßen habe, nehmen ich mit Bedauern zurück. G. Künnemann).
Das Zusammengehörigkeitsgefühl hielt selbst bei denen an, die längst fortgezogen waren.
Diese Art des Zusammenlebens ging so lange gut, bis 1933 die "Gleichschaltung der
Genossenschaft" die eingeschworene Gemeinschaft zerschlug. Vorstandsposten wurden neu
besetzt. Die staatliche Kontrolle des Siedlungslebens war erklärtes Ziel.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren zwei Drittel der Bausubstanz zerstört. Beim Wiederaufbau
der Siedlung verändert sich ihr Charakter: Fünfziger-Jahre-Zeilenbauten und
Sechziger-Jahre-Punkthochhäuser wurden errichtet, Nutzgärten in Gemeinschaftsflächen
umgewandelt. Die Mitglieder der Genossenschaft, die vor dem Krieg noch vorwiegend Arbeiter
waren, waren in der nächsten Generation Angestellte und Beamte. Das bedeutete, dass der
Gedanke des gemeinsamen Wirtschaftens nicht mehr im Vordergrund stand.
Trotzdem ist der Lindenhof eine Wohnsiedlung, in der es immer noch zahlreiche
gemeinsame Aktivitäten gibt. Ein ungewöhnlich hoher Anteil der Bewohner - verglichen mit
anderen Siedlungen - engagiert sich bei der Organisation und Durchführung von Festen
(jeweils im Sommer und im Winter wird gemeinsam gefeiert) sowie bei der Betreuung der
ältesten und der jüngsten Bewohner. Für Kinder wurde über eine MAE-Maßnahme eine
eigene Spielplatzbetreuung eingerichtet. Für den Erhalt der Kita und Grundschule wurde
kontinuierlich gekämpft, jetzt ist unser Nachbarschaftsheim in die Trägerschaft
integriert.
Es ist, wie Herr Reimer als Mitglied im Aufsichtsrat der Genossenschaft feststellte,
wieder eine Bewegung zurück zu den Anfängen zu verzeichnen. Demnächst wird diese
Gemeinschaft noch größer, weil durch Dachgeschossausbau die Anzahl der Wohnungen
zunehmen wird. Zu erwarten ist, dass die Kinder der älteren Bewohner, die beim
"Flüggewerden" weggezogen sind, wieder stärkeres Interesse zeigen,
zurückzukehren. Für mich ist dieses Siedlungsleben so spannend, dass ich mir vorgenommen
habe, in gewissen Zeitabständen die Entwicklung zu verfolgen.
Marina Naujoks
September 2005 Stadtteilzeitung
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