Architekturgeschichte "Was kostet Berlin?
Habe Sie das Kapital dazu, um Berlin umzubauen?" oder "...das Tempelhofer
Feld
, wird es in zwanzig Jahren noch ein Flugplatz sein? Werden die drei
Flugplätze, die wir in Berlin haben, dem zukünftigen Bedürfnisse genügen, oder werden
wir zweiundzwanzig Flugplätze ausweisen müssen?"
Zwei Zitate von Martin Wagner, der in diesem Jahr 120 Jahre alt geworden wäre. 1885 in
Königsberg geboren, 1905 Beginn seines Architekturstudiums in Berlin und 1915 Promotion,
Thema: "Das sanitäre Grün der Städte". Entsprechend alt sind auch seine
Worte, schon in den zwanziger Jahren hatte er sich als Vordenker mit den Problemen der
modernen Stadt auseinander gesetzt.
1918 wurde er zum Stadtbaurat der damals selbständigen Stadt Schöneberg berufen, am 1.
Juli trat er sein Amt an. Für die Stadtverordnetenversammlung war dabei entscheidend,
dass er sich mit Fragen der Rationalisierung des Baubetriebs bereits beschäftigt hatte.
Noch im gleichen Jahr gab es den ersten Spatenstich für die Lindenhofsiedlung, in der -
trotz abwechslungsreicher Gestaltung - nur zwei Haustypen und genormte Wohnungsgrundrisse
zum Einsatz kamen.
Zwei Jahre nahm die Durchführung in Anspruch. Martin Wagner hatte zu diesem Zeitpunkt
längst andere Aufgaben wahrgenommen, weil nach der Eingemeindung Schönebergs nach Berlin
1920 seine Kompetenzen zu stark reduziert wurden. 1926 wurde er dann Dezernent der
Hochbaudeputation im Magistrat (=zuständig für die Planung und Ausführung der Gebäude)
und zugleich Leiter des Städtebauamtes, beides diesmal für ganz Berlin. Er war der
Initiator des Großsiedlungsbaus ("Weiße Stadt", Siemensstadt,
"Hufeisensiedlung"), hatte die Regie bei der Entwicklung des Messegeländes und
war beim Bau des Strandbads Wannsee federführend. Ein Projekt für Schöneberg scheiterte
jedoch: Die Bebauung des Südgeländes unter Einbeziehung eines amerikanischen
Bankenkonsortiums (Chapman).
1933 schließlich, wie bei so vielen Lebensläufen in dieser Zeit, der Einschnitt. Mit der
Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er aus seinem Amt entlassen. Seine Position
zu den neuen Machthabern bezog er, als er als einziges Mitglied der Akademie der Künste
gegen den Hinauswurf von Käthe Kollwitz und Heinrich Mann stimmte.
Er verließ zwei Jahre später Deutschland. Er geht zunächst in die Türkei, 1938 wurde
er als Professor für Städtebau nach Harvard in Cambridge/Mass. berufen. Walter Gropius
hatte sich für ihn "stark gemacht". Nach dem Krieg bemühte er sich um eine
Rückkehr in die Bundesrepublik. Er erhielt eine unverhüllte Absage von Theodor Heuss,
den er schon aus seiner Zeit als Schöneberger Stadtbaurat kannte. Da fragt man sich doch
nach den Gründen
?
Martin Wagner kritisierte den Wiederaufbau, konkret am Beispiel des Hansa-Viertels, dem
Vorzeigeprojekt des Westens im Rahmen der Interbau. Kurz vor einer geplanten Reise nach
Berlin endet sein "kampfreiches Dasein" (Gropius in einem Beileidsbrief an die
Witwe Wagner-Sandow) am 28.5.1957.
Er muss eine ungeheure Schaffenskraft gehabt haben (hier konnten nicht alle Projekte
genannt werden), entwickelte große Visionen (Stichwort: Das "wachsende" Haus
oder Autoverkehr in der Stadt) und scheute sich nicht, sich zwischen alle Stühle zu
setzen, wenn es um die Umsetzung seiner Ideen ging.
Marina Naujoks
September 2005 Stadtteilzeitung
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