Seit 1842 AUG. NICOLAI | ||||
Schön,
scharf und Spitze
Ein feines kleines Fachgeschäft bereitet seine Schließung vor, während mit viel Spektakel hinreichend bekannte Angebote in neuen Warenhäusern Kundenströme anziehen. Mein Einkaufsziel liegt in der Gegenrichtung, Rheinstraße 18 - empfohlen von einem Stammkunden des Ladens für Bestecke, Stahlwaren, Sportwaffen und Darts. Eine kaum zu übertreffende Warenpalette wird in dem kleinen Ladenraum auf Wandtafeln präsentiert, Bestecke aller namhaften deutschen Hersteller und Schneidwaren der bekannten Solinger Lieferanten. Der überraschte Kunde findet ein Angebot von etwa 670 Taschen- und Jagdmessern, ob Schnitzmesser für Kinder mit abgerundeter Spitze, Rasiermesser oder edle 300-Lagen-Damaszener-Klingen mit Griff aus Wurzelholz oder Mammutelfenbein. Mit Elan informiert mich der Inhaber und Messerschmiede-Meister Klaus Görlich, wie kostbarer Stahl gehärtet wird und woher die Stoßzähne ausgestorbener Mammuts kommen. Dass sich das Urtier mit zwei "m" schreibt, fügt seine Ehefrau nach einem Blick in den Duden noch hinzu. Mich erstaunen die etwa 170 Scherenarten und -formen, darunter Geflügel-, Haar-, Blumen-, Küchen-, Stoff-, Stick-, Haut- und Nagelscheren sowie Chirurgische. Aber ich habe Sonderwünsche. Für die beste der Freizeitgärtnerinnen, meine Mutter, will ich die beste Gartenschere, speziell für kleine Hände. Schnell ist sie bestellt und in wenigen Tagen abholbereit. Neben blitzblanken Bestecken sind
Luftgewehre und Schreckschusspistolen aufgereiht, womit sich das
"Waffensortiment" für SIE und IHN fast vervollständigt. Das umfassende Serviceangebot ist
empfehlenswert: Individuelle Bestellungen, Schleifarbeiten, Wellenschliff,
Klingenersatz, Besteckeinbauten u. -reparaturen, Versilberungen. Hier kann
ich endlich das Schleifen eines Kreissägeblatts in Auftrag geben. Nach 39 Jahren Dienst am Kunden wünschen sich dieser und seine Ehefrau nun mehr Mobilität, möchten Neues kennen lernen. Die Zeit des Mindesturlaubs von drei Wochen im Jahr, der 48 Arbeitsstunden pro Woche sowie der ständigen Mietpreisbelastung wird vorbei sein. Aber es schmerzt doch nach 164 Jahren dieses Familienunternehmen aufzugeben. Die beiden Söhne orientierten sich beruflich erfolgreich anders, und die Nachfolgersuche blieb ergebnislos. Interessenten fehlte die fachliche Kompetenz, kaufmännische Eignung oder das Kapital. Die Prüfung einer Kreditvergabe zur Übernahme des Einzelhandelsunternehmens kam für Banken nicht in Betracht. Am 31. Mai schließt das kerngesunde Familienunternehmen, vier Generationen nach Gründung. Damit endet hochgeschätzte Verkaufskultur. Auch einige der Angebote könnten vom Markt verschwinden, weil sie dem Kunden nicht mehr oder auf diese Art angeboten werden. Der Ausverkauf beginnt am 2. Mai mit stark reduzierten Preisen. Annetta Mansfeld Aug. Nicolai April 2006 Stadtteilzeitung < Inhaltsverzeichnis |
||||