Der Alte St.-Matthäus-Kirchhof wird 150 Jahre
Amsel, Drossel, Fink und Star…

Unmittelbar am S-Bahnhof Yorckstraße liegt einer der interessantesten und historisch bedeutsamsten Friedhöfe Berlins, der heute den Status eines Gartendenkmals trägt. Zwar gehört er von der Fläche her nicht zu den ganz großen Friedhofsanlagen der Stadt, umso bemerkenswerter sind aber seine architektonischen und bildkünstlerischen Grabanlagen, die auf die einstige wohlhabende Gemeinde verweisen. In aufwendig gestalteten Wandgräbern, Mausoleen und freistehenden Bildwerken mit kunstvollen Gittern ließen sich die angesehenen und gutbetuchten Bürger über ihren Tod hinaus verewigen. Etwa 60 Grabstätten prominenter Wissenschaftler, Künstler und Beamter sind heute als Ehrengräber des Landes Berlin ausgewiesen, darunter die letzten Ruhestätten der Brüder Jakob (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859), des Mediziners Rudolf Virchow (1821-1902) und des Dirigenten und Komponisten Max Bruch (1838-1920).

Das älteste erhaltene Grabmonument des Kirchhofs ist das 1858 von dem Bildhauer August Julius Streichenberg geschaffene gotisierende Wegkreuz mit Engeln und allegorischen Figuren, die die Wissenschaften und Künste symbolisieren. Das Grabmal des 1856 verstorbenen Ferdinand Streichenberg-Scharmer ist nicht nur ein Beleg für die kunsthistorische Bedeutung des Friedhofs, sondern ebenso für den scheinbar unaufhaltsamen Niedergang der Gräberkultur. Die größte Bedrohung des Friedhofs erfolgte 1938/39 mit den nationalsozialistischen Plänen zur Neugestaltung Berlins in die "Welthauptstadt Germania". Die Gräber des nördlichen Drittels des Friedhofs wurden eingeebnet bzw. ein Teil auf den Stahnsdorfer Südwestfriedhof umgebettet. In den 1960er Jahren hatte man weitere Grabstätten eingeebnet. Seither haben der Wandel der Bestattungskultur, ausgelaufene Nutzungsverträge, dauerhafte Umwelteinflüsse sowie Vandalismus tiefe Spuren an den Denkmälern, aber auch den kleinen, scheinbar unwichtigen Grabstätten hinterlassen.

Am 25. März 1856 wurde mit der Beerdigung der Ehefrau des Grenzkontrolleurs Rittmeister Krottnauer-Petersen der Friedhof der St.-Matthäus Gemeinde eingeweiht. Da aber die ersten Jahrgänge der Totenbücher des Kirchhofs verschollen sind, bleiben Vor- und Zuname der Frau des Rittmeisters für immer im Dunkeln, ebenso die genaue Lage des Grabes.

Die Ev. Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde, in dessen Trägerschaft sich der Friedhof heute befindet, nimmt den 150. Jahrestag dieses ersten Begräbnisses zum Anlass, den Alten Kirchhof in Berlin-Schöneberg und seine einzigartige Bedeutung als innerstädtisches Kultur- und Naturdenkmal einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Dabei sollen nicht nur neue Kooperationspartner und Förderer gefunden, sondern ebenso bei Einzelpersonen, Familien und Vereinen für Patenschaften geworben werden. Der Pate verpflichtet sich, die Kosten für den Erhalt und die Sicherung des schutzwürdigen Grabmales zu tragen und erwirbt so das Nutzungsrecht für die dazugehörende Grabstätte.

Grabmalpatenschaften gibt es bereits in Köln und Hamburg. Der finanzielle Aufwand für die Restaurierung eines historischen Grabmales liegt in der Regel unter den Kosten eines neuen Grabsteins. Während einer Tagung im Oktober sollen hierzu zusammen mit der Stiftung Historische Kirch- und Friedhöfe, dem Landesdenkmalamt Berlin und der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur erfolgreiche Patenschaftsmodelle vorgestellt werden. Die Tagung ist Teil eines vielseitigen Kulturprogramms, das bis November 2006 auf dem Friedhof stattfinden wird, darunter Ausstellungen, Lesungen und thematische Rundgänge. Unabhängig von diesen Angeboten bietet der Kirchhof als Gartendenkmal auch dem unkundigen Besucher faszinierende Ansichten und Erlebnisse.

Betritt man den Kirchhof, dann fällt einem sofort der weniger sakrale Verwaltungstrakt ins Auge. An dem Gebäude befindet sich eine große Tafel, die auf den artenreichen Singvogelbestand des Kirchhofs verweist. Bereits hier kann der Besucher erahnen, was er beim folgenden Rundgang immer wieder in abwechselnden Tonarten und brillanten Gesängen hören kann: Amsel, Drossel, Fink und Star haben den Kirchhof längst als einzigartigen Lebensraum in ihren Besitz genommen.

Simone Tippach-Schneider

Weitere Informationen über www.zwoelf-apostel-berlin.de

April 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis