Theater Hans Wurst Nachfahren am Winterfeldtplatz | ||||
"Oh, mein Gott"
Kennen Sie das Theater Hans Wurst
Nachfahren am Winterfeldtplatz ? Ich hatte zwar schon davon gehört, aber
in dem Glauben, dass es sich hierbei erstens um ein Puppentheater und
damit zweitens um ein Kindertheater handelt, mich, da mein Sohn schon seit
zwanzig Jahren den Kinderschuhen entwachsen ist, nicht sonderlich dafür
interessiert. Mein Vorbehalt, dass es sich vielleicht um
ein Kinder-Kasperle-Theaterstück handeln könnte, wurde schon durch den
angekündigten Spielbeginn von 20.00 Uhr ausgeräumt. Wie ich später
erfuhr, werden im Theater am Winterfeldtplatz generell Stücke sowohl für
Kinder als auch für Erwachsene aufgeführt. In dem Stück "Oh, mein Gott" wird von Lilly Walden, die auch das Stück geschrieben hat, exzellent und auf äußerst scharfzüngige Art und Weise ein Rundumschlag gegen alle Religionsfundamentalisten ausgeteilt. Ob Kardinal, Iman, Lama, Rabbi, Bramahne oder Mormone, sie bekommen alle ihr Fett weg, wenn Lilly Walden mit weiblichem Blick auf die von Männern dominierten Weltreligionen blickt und dabei feststellt, dass Frau in allen Religionen bzw. in den von Religionen geprägten Gesellschaften sich immer nur als Anhängsel des Mannes bzw. zum Teil sogar nur als sein Untertan verstehen soll. Wenn sie als altjüngferliche Sekretärin, die puppenspielend, trompetend und Xylophon spielend mit naiver Gestik und Mimik die Grundlagen der Weltreligionen durchleuchtet, dann kann sich kein Zuschauer, der noch über seinen gesunden Menschenverstand verfügt, der Komik der durch die Puppen verkörperten Religionsführer entziehen. Amüsant, aber zugleich spannend fand ich,
wie aktuell das Stück auch an das tagespolitische Geschehen angepasst
wurde, wenn die Sekretärin z. B. über den Islam spricht und ankündigt,
einige Karikaturen zeigen zu wollen, dann aber nur leere, weiße Bögen in
den Zuschauerraum hält. Oder die ganze Aufführung hindurch ein
herrenloser Rucksack mit der Aufschrift "Bombe" mitten auf der
Bühne steht und der Walden Anlass zu allerlei Spekulationen gibt. Nicht erst seit den weltweiten, gewalttätigen Ausschreitungen nach dem Erscheinen der dänischen Karikaturen über den Propheten Mohammed und den sich daran anschließenden öffentlichen Diskussionen über den Grad der Pressefreiheit, den wir uns noch leisten können oder wollen, frage ich mich, wo uns unser lange Jahre mit multikulturellem Anspruch geprägte Weg hingeführt hat. Im Laufe meines Lebens haben sich bei mir - wie sicher auch bei Ihnen - manchmal Meinungen und Standpunkte geändert oder sich als nicht mehr zeitgemäß herausgestellt. Einer Sache aber bin ich mir ganz sicher, auf die freie Meinungsäußerung, als Grundsäule unserer Demokratie, möchte ich nicht verzichten. Und um zu einem toleranten und respektvollen Miteinander zu kommen, braucht es auch ein aufeinander Zugehen von beiden Seiten. Wenn sich eine Seite im vorauseilenden Gehorsam schon die Meinungsäußerung, die Teil ihrer politischen Kultur ist, selbst verbieten würde, dann ist das für mich problematisch und nicht hinnehmbar. Falls Sie sich selbst zum Nachdenken über
die großen Religionen unserer Welt anregen lassen wollen und einen
amüsanten, informativen und inspirierenden Abend mit ernstem Hintergrund
verbringen wollen, kann ich Ihnen einen Besuch des Theaters Hans Wurst
Nachfahren und des Stückes "Oh, mein Gott" nur empfehlen. Veronika Schneider Theater Hans Wurst Nachfahren April 2006 Stadtteilzeitung < Inhaltsverzeichnis |
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