Gewerbe im Kiez: Etuis und Musterkoffer

Zwei Koffer für eine Leiche 
(aber Weihnachtsgeschenke gehen auch...)

Aus Leder sollten sie sein, optisch den Eindruck von Tonbandkoffern aus den 50er Jahren vermitteln, zentimetergenau gefertigt, um in ein Schließfach zu passen. Und - eine Leiche musste darin verstaut werden können. Ein Koffer für den Torso, der andere für den Rest. Nein, das war kein Auftrag der Mafia, die Koffer spielten eine wesentliche Rolle als Requisiten in dem Oscar-nominierten Agenten-Thriller "The Innocent" von John Schlesinger. Sicherlich einer der kuriosesten Aufträge für Winfried Bürger, Inhaber des Handwerksbetriebes "Etuis und Musterkoffer" in der Hedwigstraße. Winfried Bürger ist an Berühmtheiten gewöhnt. Er hat für unzählige Persönlichkeiten, die mit Preisen, Medaillen oder Geschenken geehrt wurden, dafür Sorge getragen, dass ihre Pretiosen würdig gebettet und sicher verpackt in den von ihm gefertigten Etuis, Schatullen oder Köfferchen den Bestimmungsort unversehrt erreichen. 

Das 40jährige Firmenjubiläum vor drei Jahren war eigentlich eine Untertreibung, denn der Familienbetrieb besteht bereits seit 1885. Gottfried Müller aus Dresden, ein Großonkel Winfried Bürgers, kam 1900 nach Berlin um Silvester zu feiern, verliebte sich in Elise Weissenborn, die Tochter des Inhabers einer Etui-Manufaktur, er blieb, heiratete Elise und übernahm dann später den Betrieb seines Schwiegervaters. Zu dieser Zeit gab es in Berlin 40 Handwerksbetriebe, die Etuis und Schatullen
herstellten, 12 davon in einer Größenordnung mit 100 Mitarbeitern, zu denen auch der Betrieb Weissenborn zählte. Die Manufaktur belieferte u.a. den kaiserlichen Hof: z.B. wurde für die silberne Waschschüssel Kaiser Wilhelms eine Reiseschatulle gefertigt, mit der bei Bedarf die kostbare Fracht sicher verpackt hinten auf eine Kutsche geschnallt werden konnte.
Nach dem zweiten Weltkrieg hielt sich der Betrieb mit der Reparatur von Schreibmaschinenkästen über Wasser. Aber bald darauf boomte die Wirtschaft auch wieder für die "Köfferchenmacherei": Aufträge für die Fertigung von Musterkoffern für Handelsvertreter, hauptsächlich aus dem Kosmetikbereich, verhalfen zu neuem Aufschwung. Bekannte Firmen wie Gustav Lohse (Uralt Lavendel), Scherk, Mennen oder Hormocenta ließen ihre individuellen Musterkoffer in dem Friedenauer Betrieb maßfertigen, in Einzelfällen mit vergoldeten Nummernschlössern. 

1963 übernahm Winfried Bürger den Betrieb von seinem Großonkel, als Quereinsteiger, er hatte Architekturmodellbau gelernt (und z.B. das Modell für das Luftbrückendenkmal gebaut). Die Zeit der Aufträge für Handelsvertreter-Musterkoffer neigte sich da bereits dem Ende zu, die expandierenden Drogeriemärkte kamen ohne Vertreter aus, die Vermarktung verlagerte sich von der individuellen Beratung auf großangelegte Werbung.

Aber es gab ja noch die illustren Einzelaufträge, etliche vom Senat, der Schatullen für z.B. die 1,5 kg schweren Berlinale-Bären, ehemals aus Silber, nach der Wende "nur noch" in Bronze gegossen, oder Ernst-Reuter-Medaillen benötigte. Musterkoffer fertigt Winfried Bürger auch heute noch, für eine neue boomende Branche: Bio-Kosmetik. Kleinere Firmen mit neuen Produkten benötigen eine individuelle Präsentation. 

Das Rentenalter hat Winfried Bürger bereits seit einigen Jahren erreicht, nur langt sein Altersruhegeld nicht aus, um sich tatsächlich "zur Ruhe zu setzen". Also macht er weiter, unterstützt von seiner Ehefrau Helga. Ein Nachfolger oder Übernehmer des Betriebs ist nicht in Sicht - Etuimacher ist kein Ausbildungsberuf mehr. In Berlin existieren derzeit nur noch zwei Betriebe dieser Art.

Bedarf für seine Arbeit gibt es: sensible Messgeräte, Mikroskope oder Objektive benötigen passgenaue Etuis oder Köfferchen, Aufträge der Industrie in Stückzahlen bis 100. Sonderanfertigungen für Möbelfirmen und Tischlereien: Samt- oder lederbeschlagene Besteckeinrichtungen für Schränke, bestimmt zur Aufbewahrung so feiner Dinge wie Bestecke des berühmten dänischen Silberschmiedes Georg Arthur Jensen oder Fabergé- und Kristallbestecke. Die Fertigung adäquater Aufbewahrungsschatullen derartiger Kostbarkeiten erfordert auch heute noch solide Handarbeit.

Eine echte Herausforderung war mal wieder ein Senatsauftrag: Eine luxuriöse Schatulle für ein 12-teiliges KPM-Kaffeeservice - ein Geschenk für Queen Elizabeth. Die Recherchen für diese Arbeit führten ihn ins Schloss Charlottenburg, die Schatulle fertigte er nach dortigen Vorlagen aus Oasenziegenleder - ein ganz feines Leder, das hauptsächlich in der Buchbinderei Verwendung findet, mit originalgetreuen Ornamenten und Verzierungen. 

Aber nicht nur Königshäuser oder Filmstars können sich der luxuriösen Umhüllungen erfreuen, Winfried Bürger fertigt auch für "ganz normale" Kunden, z.B. Etuis für besondere Weihnachtsgeschenke. 

Firma Etuis und Musterkoffer
Winfried Bürger, Hedwigstraße 7 Ecke Wielandstraße, 12159 Berlin
Tel. 8 52 63 22


Rita Maikowski

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Dezember 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis