Wenn Löwen aufjaulen
Wildnis am Bayerischen Platz

Wieder soll hier ein fast hundert Jahre alter Schmuckplatz vorgestellt werden. Repräsentativ lag er bei seiner Entstehung 1907 da – zerstört nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem städtebaulichen Leitbild der fünfziger Jahre wurde er wiederaufgebaut. Und jetzt?
Eine gute Mischung an Einzelhandelsgeschäften und Restaurants umrandet den Platz. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien folgende Angebote und Dienstleistungen – auch in den angrenzenden Straßen – genannt: Italienische und russische Spezialitäten, Optiker und Hörgeräteakustiker, Schuhreparatur und Reinigung, Tierbedarf – für Vierbeiner oder Flossenträger – ein Biofleischer, ein Blumenladen und immer wieder Essen und Trinken für den genießenden Menschen. Es gab ein kleines Tief, so zogen z. B. der Supermarkt am Platz, der Wäscheladen auf der Ecke und Schuhläden in der Grunewaldstraße aus und weg. Nachgerückt sind neue Geschäfte und Cafés. Warum also sollte der Löwe auf dem Platz aufjaulen?
Es gab mal so etwas wie einen kleinen Brunnen mit mehreren Becken in der Grünanlage, na ja, in der Wüste ist es eben trocken, so findet man auch hier kein Wasser. Rasen? Wiese? Eher eine Mischung, durchsetzt mit Pflanzen, die auch auf Brachflächen schnell heimisch werden. So wendet sich der Passant nachdenklich ab.

Der Bayerische Platz hat schon bessere Tage gesehen. Nach den Vorstellungen des Magistrats der Stadt Schöneberg unter seinem Bürgermeister Rudolph Wilde sollten die Schmuckplätze Übergangszonen zu den luxuriösen, mit allem Komfort ihrer Zeit - damit sind die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg gemeint- ausgestatteten Wohnhäusern bilden. Fritz Encke, der auch bei der Gestaltung anderer Grünanlagen in Schöneberg federführend war, wählte Pyramidenpappeln und
-eichen für diesen Standort aus, Brunnen und Wasserbecken waren selbstverständlich.

Wegen der zahlreichen wohlhabenden jüdischen Bürger, die in den Anfangsjahren hier wohnten, wurde das Bayerische Viertel auch jüdische Schweiz genannt, prominentester Vertreter war Albert Einstein. An die Verfolgung und Vertreibung der Juden erinnert ein "Flächenmahnmal": 1993 schufen die Künstler Renata Sih und Frieder Schnock 80 Tafeln, die überall in den Seitenstraßen an Laternenpfählen befestigt sind und auf denen Gesetzestexte aus der nationalsozialistischen Zeit zitiert werden, die den ausgeübten Druck deutlich machen.
Die Neugestaltung des Bayerischen Platzes nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erfolgte durch Karl Heinz Tümler, der zwar die sparsamen Gestaltungsmittel der fünfziger Jahre einsetzte, aber eine Gartenanlage "aus einem Guss" schuf. Der Freistaat Bayern stiftete den vom Bildhauer Anton Rückel modellierten Bronzelöwen, der seit 1958 nicht dominant in der Mitte, sondern dezent am Rand der Grünfläche steht, aber doch ein bisschen an die alten Glanzzeiten erinnern soll.

Heute passt der Bayerische Platz offenbar in keine "Schublade": Er liegt nicht so innerstädtisch wie der Wittenbergplatz, der im Blickpunkt der Berlinbesucher steht, seine Fläche ist nicht geeignet für Märkte oder andere Veranstaltungen wie der Winterfeldtplatz, er ist nicht interessant für die Gartendenkmalpflege wie der Viktoria-Luise-Platz.
Ergänzend erklärt Frau Heinrich, Amtsleiterin im Fachbereich Natur des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg, dass der Bayerische Platz verwaltungstechnisch als Stadtplatz, nicht als Gartenanlage eingestuft ist. Somit gibt es weniger Mittel für die Pflege.

Positiv zu verzeichnen ist ein Vertrag mit der Fa. Wall, die sich verpflichtet hat, den Brunnen wieder instandzusetzen, und Wasser fließen und sprudeln zu lassen. Grundsätzlich kämpft Frau Heinrich jedoch mit dem Problem, dass die Mittel jährlich drastisch gekürzt werden. MAE-Kräfte, auf Deutsch Ein-Euro-Jobber, werden für gärtnerische Arbeiten zugewiesen, dürfen aber die Grundpflege nicht ausführen, sondern stehen nur für zusätzliche Aufgaben zur Verfügung. Wünschenswert in ihren Augen wäre mehr Engagement der Anlieger: Baumspenden, Übernahme der Pflege etc. Vielleicht kommt diese Botschaft an...

Was ich persönlich darüber hinaus vermisse: den Bezug zu Bayern. Bei der Gründung des Bayerischen Viertels sollten Städtenamen aus südlichen Regionen, neben Bayern auch aus Tirol, angenehme Assoziationen wecken und für eine gediegene Wohngegend stehen. Noch heute hat das Weißblau eine starke Strahl- und Anziehungskraft, in der Werbung, in der Unterhaltungsbranche, als Urlaubsziel. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Anlieger diesen Effekt nutzen könnten. Vielleicht gibt es auch ein erwachendes Interesse der in Berlin nicht immer heimisch gewordenen Bayern, die sich in ihrer neuen Umgebung engagieren wollen?

Eines Tages werden wir beim Anblick des Löwen glauben können, ein starkes Brüllen zu hören.

Marina Naujoks

Juli 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis