Die Macht des Fußballs
Der "Kleine Andenfußball"

Eine Indianerin aus den Anden erscheint auf dem Bildschirm, als ich die Kanäle durchzappe, un-verkennbar mit ihren langen Zöpfen und den bunten Kleidern in den bekannten Farben und Mustern, ein phantasievoller Hut auf ihrem Kopf. Auf dem Boden sitzend, ein kleines Kind im Arm, erzählt sie aus ihrem anstrengenden Leben in dem kleinen, abgelegenen Dorf in 4000 Metern Höhe mit dem kargen Boden, der nicht mehr hergibt als Kartoffeln, Saubohnen und etwas Weizen. Arbeit vom frühen Morgen bis zum späten Abend - man hat das schon oft gehört. Aber dann sagt sie: "Wenn ich Fußball spiele, dann tue ich etwas nur für mich, und das brauche ich!"

Habe ich mich jetzt verhört? Sagte sie tatsächlich "Ich spiele Fußball"? Und dann sehe ich die ungewöhnliche "Mann"schaft: mit wippenden, knielangen Röcken und fliegenden Zöpfen, die nackten Füße in offenen Sandalen, kicken sie den Ball über eine bucklige Grasnarbe, jagen ihn sich gegenseitig fintenreich ab, rempeln auch mal, aber alles mit viel Gelächter und sichtlicher Freude. Schuhe brauchen wir nicht, sagen sie, daran sind wir nicht gewöhnt. "Kleiner Andenfußball" wird das Spiel in Peru genannt, weil alles etwas kleiner ist, als es die internationalen Maße vorschreiben: das Spielfeld, das Tor, manchmal auch die Anzahl der Spielerinnen. Am Rand des "Spielfeldes" stehen die Männer mit den Kindern auf dem Arm.

Die Frauen haben lange kämpfen müssen, ehe man ihnen das Fußballspielen erlaubt hat (da haben die deutschen Fußballerinnen ja etwas gemeinsam mit ihnen!) "Anfangs waren wir dagegen, wann sollen sie denn Zeit haben bei der vielen Arbeit!", sagt einer der Männer. Aber jetzt sei er froh, dass er nachgegeben habe, denn seine Frau sei seitdem viel fröhlicher und selbstbewußter. Man respektiert die Frauen auch mehr, sie dürfen jetzt bei politischen Versammlungen das Wort ergreifen, setzen sich z.B. beim Bürgermeister für Elektrizität in ihrem Dorf ein.

Bei einem Freundschaftsspiel gegen die Frauen eines Nachbardorfes - Blauröcke gegen Rotröcke - das sie erst nach einem mehrstündigen Fußmarsch erreichen, geht es schon härter zu. Die dortigen Frauen haben sogar ein richtiges, großes Fußballfeld, auf dem sie öfter trainieren können, und auch auf Fouls scheinen sie sich gut zu verstehen: die Frauen "unseres" Dorfes zeigen sich nach dem Spiel die Wunden und blauen Flecken, die sie davongetragen haben. Trotzdem haben sie das Spiel gewonnen, und jede erhält als Preis ein Meerschweinchen, das sie zu Hause rösten werden - eine willkommene Leckerei. Und dann geht's zu Fuß wieder zurück - und am frühen Morgen des nächsten Tages, nach einem Frühstück aus gekochten Kartoffeln, gleich wieder an die Arbeit: die größeren Kinder in die zweiklassige Dorfschule schicken (wo vor dem Unterricht die Mädchen den Jungen den einzigen Fußball weggeschnappt haben und schnell noch ein bisschen herumkicken), die kleinen Kinder fertigmachen und dann mit ihnen aufs Feld ziehen. Nachmittags helfen die Größeren und kommen dann erst am Abend dazu, ihre Hausaufgaben zu erledigen, nach dem täglich gleichen Essen: Saubohnensuppe. Und unsere Fußballerin hat noch bis in die Nacht mit der Hausarbeit zu tun.

Ein derartiges Leben ist für uns unvorstellbar. Und doch haben die Frauen Kraft genug, auch noch für ihre Lebensfreude zu sorgen. Das Fußballspielen hat ihnen Freiraum und gestiegenes Ansehen beschert, und zum erstenmal in ihrem Leben kommen sie aus ihrem einsamen Dorf heraus. Zur "Meisterschaft des kleinen Andenfußballs" in der Kreisstadt fahren sie mit dem Lastwagen in eine ihnen bisher unbekannte Welt und lernen den Stadttrubel kennen. Voller Sorge, ob sie den Stadtfrauen gewachsen sein werden, die in weißen Röcken und richtigen Sportschuhen antreten und auf die Hinterwäldlerinnen herabsehen, zeigen sie ihnen, was eine Harke ist und räumen den Preis ab: hundert Zentner Saatkartoffeln!

Wie vielfältig das Leben sein kann!

Sigrid Wiegand

Juli 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis