Unser Beitrag zur Fußball-Weltmeisterschaft
Eine "Fußball-WM ist etwas ganz, ganz Besonderes!"
(Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei)

Wenn man so sieht, welche Schatten die kommende Fußball-WM voraus wirft, kann man ja nur froh sein, dass uns damals die Olympiade in Berlin erspart geblieben ist! Aber vielleicht ist ja der Fußball - sozusagen als Krone des Sports - noch etwas besonderer als andere Sportarten und zieht noch mehr Fans, Touristen, Terroristen, Ganoven, Radaumacher, Nutten und was es sonst noch so an menschlicher Spezies gibt, in die Stadt, Menschen, die wir beeindrucken und unterhalten und an denen wir verdienen wollen, vor denen wir uns schützen, für die wir die Stadt umkrempeln und die wir per Videoüberwachung im Auge behalten müssen. Die ganze Spannbreite menschlicher Möglichkeiten findet ein weites Betätigungsfeld, da hat sich seit den alten Römern nicht wirklich viel geändert: 40.000 Prostituierte streben angeblich zur WM in die Stadt, um ihre Dienste anzubieten, viele davon unfreiwillig, wird vermutet. Grund für die einschlägigen Organisationen, das wichtige Thema Zwangsprostitution aufs Tapet zu bringen, obwohl einige von ihnen diese Zahl für "absolut abstrus" halten: "Vor den alkoholisierten Fußballfans und dem Polizeigroßaufgebot flüchten die Prostituierten eher aus den Städten". Immerhin sollen die "Freier" sich Gedanken machen und "verantwortungsvoll reagieren" - was immer das heißen mag.

"Da muß jeder Verständnis haben, dass man versucht, ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten!" fährt der oben zitierte Polizeigewerkschafts-Chef fort. Allein die 250.000, die für die WM arbeiten, von der Klofrau, dem Wurstverkaufer, dem Sanitäter, dem Putzpersonal, den Handwerkern bis zur Feuerwehr und den Journalisten werden auf weiße Westen überprüft. "Die WM wird zu einem Fest für Verfassungsschützer" titelt die taz, und die Datenschützer kritisieren das als unverhältnismäßig und bedenklich. Aber es gibt kein Halten, man bekommt den Eindruck, dass eigentlich jeder verdächtig ist, prophylaktisch sozusagen, sofern es ihm nicht gelingt, sich weiträumig von dem Rummel fernzuhalten.
Und es ist nicht einmal sicher, ob das hilft, denn krakenartig drohen sich die Ereignisse (Events), der Werbeterror, die Firlefanzereien wie diese unsäglichen Plastikbären (die fast eine Senatskrise hervorgerufen hätten) oder wie alle möglichen Alltagsgegenstände in Fußballform, Lufttüten für diejenigen, denen die Puste ausgeht und was die geldgierige Fantasie noch so hervorbringt, über die ganze Stadt auszubreiten: keiner bleibe ungeschoren! Am besten, man fährt weg und kommt erst wieder, wenn alles vorbei ist (wie meine Düsseldorfer Freunde, die zum Karneval ihre Stadt verlassen). Wenn man dann wiederkommt, kann man die zurückgebliebenen Müllhaufen und eine völlig aus dem Ruder gelaufene Stadt betrachten...

Und was haben die Berliner nun davon? Nun, wenigstens wird die Stadt repariert: Baustellen allenthalben, wo man geht, steht und fährt, Umleitungen ohne Ende - ein Slalomlaufen und -fahren, und die großmächtigen Bahnhofsprojekte in Tiergarten und am Südkreuz sind auch rechtzeitig fertig geworden. Hoffentlich wurde da in der Eile nicht mit heißer Nadel genäht, und hinterher fallen die Platten von den Wänden.

Ach ja, Fußball wird ja auch noch gespielt. Aber das ist eine andere Geschichte...

Sigrid Wiegand

Juni 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis