Friedhof in der Eisackstraße geschlossen
Etwas Ruhe bitte!

Still ist es hier schon lange nicht mehr. Donnerndes Getöse umgibt den Friedhof in der Eisackstraße. Ein Wunder, dass sich die verliebten Amselmännchen gegen den rohen Verkehrslärm der Stadtautobahn durchsetzen können. Im Dreiminutentakt erhält das ewige Dröhnen akustischen Beistand von zwei S-Bahn-Linien. Nur vom angrenzenden Wohnblock scheint etwas Ruhe auszugehen. Aber das hört man nicht. Ungehört bleibt auch das leise Gebet des Alten am Grab seiner Frau. Ohne Rauschen geht der Wind durch die gealterten Birken. Lautlos fallen Wassertropfen aus dem verrosteten Leitungsrohr in den Brunnen. Seit Januar 2006 hat es hier keine Bestattung mehr gegeben. Der Friedhof wurde geschlossen. Sargträger und Kranzwagen sind abgezogen.

Sinkende Sterberaten und der Trend zur Urnenbestattung haben zur Folge, dass die Einnahmen der Stadt Berlin seit Jahren rapide zurückgehen, denn die Friedhofsflächen müssen auch mit weniger Gräbern voll bewirtschaftet werden. Besonders kleine Friedhöfe sind dann kaum noch rentabel und werden geschlossen. Es finden keine neuen Bestattungen mehr statt. Die Ruhezeit der bestehenden Gräber einschließlich ihrer Pflege ist in einem solchen Fall für 30 Jahre gewährleistet. Wer bereits Nutzungsrechte an Sondergrabstätten auf dem Friedhof in der Eisackstraße erworben, diese aber noch gar nicht in Anspruch genommen hatte, dem räumt die Stadt als Ersatz gleichwertige Nutzungsrechte auf dem Friedhof Eythstraße oder auf dem Heidefriedhof ein. Wem das nicht behagt, der kann sich die bereits gezahlten Gebühren zurückzahlen lassen. Was aber macht die verwitwete Alte, die einst neben ihrem bereits bestatteten Mann begraben werden will? Sie kann seine sterblichen Überreste umbetten lassen - kostenlos - auf den Friedhof Eythstraße oder auf den Heidefriedhof. Sie kann auch einen ganz anderen Friedhof als spätere gemeinsame Ruhestätte wählen, nur muss sie dann die Gebühren selber tragen.

Und was wird aus dem Friedhof in der Eisackstraße, dem ersten städtischen Friedhof der damals selbständigen Stadt Schöneberg? Viel ist von ihm ja nicht mehr übrig. Schon 1939, mit den Umgestaltungsplänen für Berlin, wurde seine Fläche um mehr als ein Drittel verkleinert. Es ist wahrscheinlich, dass in 30 Jahren die rund 18.000 Quadratmeter zu einer Grünanlage umgebaut werden. Der Altbaumbestand ist schon einmal bestechend, wenngleich nicht von Dauer. Nur wenige historisch wertvolle oder denkmalgeschützte Grabanlagen säumen die Wege. Das bedeutendste Grab gehört Rudolph Wilde (1857 - 1910), dem ersten Bürgermeister und Oberbürgermeister der jungen Stadt Schöneberg. Der Kommunalpolitiker machte sich vor allem durch die städtebauliche Erweiterung Schönebergs einen Namen. Der Bau der U-Bahn-Linie 4, des bayerischen Viertels und des Stadtparks sowie die Planung des Schöneberger Rathauses gehen auf seine Initiative zurück. 1963 wurde der Stadtpark nach ihm benannt, so dass bereits ein Rudolph-Wilde-Park existiert - größer und stattlicher als die schmale Grünfläche zwischen S- und Autobahn. Als Ort der Erholung und Entspannung wird die grüne Ecke immer viel zu laut sein. Als Schalldämpfer für leiseres Wohnen im angrenzenden Häuserblock hätte sie eine nützliche Funktion. Vielleicht könnte dann der ehemalige Friedhof bzw. die zukünftige Grünanlage "Eisackhof" heißen. Die Eisack ist ein Nebenfluß der Etsch in Südtirol. Und durch ihr Tal führt die Brennerautobahn.

Simone Tippach-Schneider
(Text und Foto)

Juni 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis