Die Pfarrerin Geertruida Baas
"Von guten Mächten wunderbar geborgen..."
Die Pfarrerin Geertruida Baas aus der Albestraße 31

Freitag 10.30 Uhr im evangelischen Seniorenheim in der Albestraße: über 50 alte Menschen feiern einen Abendmahl-Gottesdienst - das ist die Hälfte der Heimbewohner. Der Andachtsraum wird Reihe für Reihe zugestellt mit Rollstühlen. Seit 30 Minuten spielt der Organist gedämpft Kirchenmusik, während die letzten Bewohner vom 5. Stock aus dem Fahrstuhl an ihren Platz gerollt werden. Die Pfarrerin Geertruida Baas betritt den Raum, begrüßt alle Anwesenden und fordert sie zum Singen auf: "Lobet dem Herrn alle, die ihn ehren…" Obgleich alle ein Textblatt in den Händen halten, sind nur wenige Stimmen zu hören. Dann aber bittet die Pfarrerin: "Lasst uns den Psalm 23 beten!" und ein kräftiger Chor von 50 Stimmen erfüllt den Raum.

In der folgenden Andacht erinnert Geertruida Baas an den Theologen Dietrich Bonhoeffer. Sie erzählt aus seinem Leben, von seinem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und seiner Arbeit für die Bekennende Kirche, von seiner Verhaftung, seinen Briefen und von seiner Hinrichtung am 9. April 1944.

Es ist eine anspruchsvolle Andacht. Nicht alle Zuhörer können ihr folgen, viele nicken ein und werden unkonzentriert. Doch die Pfarrerin mahnt zur Geduld und fordert erneut zum Singen vom Blatt auf. Es ist ein Text von Dietrich Bonhoeffer: "Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr."

Geertruida Baas wurde 1949 in Holland geboren und verbrachte ihre Kindheit auf einem Bauernhof. Mitte der sechziger Jahre studierte sie Theologie in Holland, Genf und Berlin. Nach ihrer praktischen Ausbildung wurde sie von der Kirche in Berlin übernommen. 1972 erhielten Frauen die vollen Rechte im Pfarramt - damit standen Geertruida Baas viele Türen offen. Seit 1975 war sie in Neukölln und in Britz als Pfarrerin tätig. Sie heiratete in dieser Zeit und gründete eine eigene Familie. 20 Jahre später traf sie die Entscheidung, ins Spezialpfarramt des Wohnstifts Otto Dibelius zu wechseln.

Es war vor allem der Wunsch nach innerer Einkehr auch bei der Arbeit als Pfarrerin. Sie wollte sich nicht zunehmend mit zeit-raubenden Nebensächlichkeiten verzetteln. Sie wollte sich auf das Wesentliche, auf die Menschen konzentrieren. Seit 2001 arbeitet sie zusätzlich für zehn Stunden im Monat im evangelischen Seniorenheim in der Albestraße.

Sie kennt jeden der 108 Bewohner mit Namen, kann sich intensiv um seine Sorgen und Nöte kümmern. Neben den regelmäßigen Gottesdiensten, Abendmahlen, Bibel- und Meditationsstunden, sind ihr vor allem die persönlichen Gespräche wichtig - nicht nur mit den alten Menschen, sondern ebenso mit deren Angehörigen und mit dem Personal.

Wenn Geertruida Baas eine Andacht vorbereitet, dann überlässt sie nichts dem Zufall. Jede Andacht ist auch Therapiearbeit. Der Psalm 23 zum Beispiel ist mittlerweile gut einstudiert. Er weckt die Lebensgeister der Alten zu Beginn jeder 45minütigen Veranstaltung genauso wie zum Schluss das gemeinsame Vaterunser.

In jedem Gottesdienst erinnert die Pfarrerin ihre weit über achtzigjährigen Zuhörer außerdem an die eigene Geschichte. Diese Erinnerungsarbeit ist oft schmerzlich. In persönlichen Gesprächen hilft die Pfarrerin bei der Verarbeitung und richtet die Seelsorge immer wieder neu an den Einzelnen aus.

Bei all der seelsorglichen Hilfe bleibt Geertruida Baas pragmatisch. In ihren Augen steht und fällt die Qualität eines Senioren-heims mit der Leitung des Hauses. "Von guten Mächten wunderbar geborgen" hat auch hier Gültigkeit. Autorität ist wichtig, damit die alten Menschen zu ihrem Recht kommen, aber die Pflegerinnen ebenso ihre Pflichten erfüllen können.
In der Albestraße gibt es nicht nur Gottesdienst- der Sozialdienst sorgt für ein umfangreiches Kulturprogramm in der Woche und glanzvolle Höhepunkte im Jahr. Im Garten hinter dem Haus werden Schafe, Ziegen, Hasen und Meerschweinchen gehalten und locken das junge Volk, die Kinder aus der Nachbarschaft in Scharen an. Der fröhliche Lärm der Kinder wird derzeit vom Baulärm aus dem Untergeschoss des Hauses übertönt. Dort entstehen die neuen modernen Andachtsräume, die am 28. März 2006 feierlich eröffnet werden.

Neben diesen guten irdischen Dingen in einem Seniorenheim drängen die Pfarrerin aber noch Wünsche, die so schnell nicht in Erfüllung gehen. In einer Zeit, in der immer mehr Menschen im Alter von ihrer Familie getrennt leben, und wir Gebrechliche oder Demenzkranke meistens nur noch aus den Medien kennen, täte es mehr als Not, dass sich jeder Bürger mit ehrenamtlicher Arbeit in dem Seniorenheim nebenan ein bis zwei Stunden im Monat mit einbringt. Nur so, glaubt die Pfarrerin, könne sich eine gesamtgesellschaftliche Haltung ausprägen, die den alten und sterbenden Menschen neben der Geborgenheit auch die Überzeugung vermittelt, dass sie bis zuletzt wertvolle Mitglieder der Menschengemeinschaft sind.

Simone Tippach-Schneider

März 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis