Der Klügere gibt nach?
Kolumne: Geschichten aus dem Kiez

Die Nichtautofahrer unter den Lesern brauchen jetzt eigentlich nicht weiterzulesen. Oder aber - vielleicht gerade doch, als Zuschauer der folgenden Szenen können Sie sich königlich amüsieren.

Nehmen wir mal die Fregestraße stellvertretend für all die schmalen Sträßchen in Friedenau. Auf beiden Seiten wird geparkt, in der Mitte bleibt Durchfahrplatz für ein Auto, keine Einbahnstraße - und das ist auch gut so, weil ansonsten hemmungslos gerast würde - mit Gegenverkehr muss gerechnet werden. Geradezu klassisch die Situation: Ein Pkw biegt von der Hedwig- in die Fregestraße ein, kein Gegenverkehr in Sicht. Er hat die Entfernung zur nächsten Kreuzung zu mehr als der Hälfte geschafft, da lugt vorwitzig ein potentieller Gegner um die Ecke, er hat den Entgegenkommenden gesehen und - biegt ungerührt ebenfalls in die Fregestraße ein. Keine drei Sekunden später stehen sich beide Autos Schnauze an Schnauze gegenüber. Tja, was nun? Einer von beiden muss bis zur nächsten Ausweichmöglichkeit zurücksetzen, aber wer? Nach der allgemein verständlichen Regel: Wer zuerst kommt hat freie Fahrt, müsste nun der später eingebogene wieder bis zur Kreuzung zurück (das hätte er sich natürlich sparen können, wenn er etwas gewartet hätte). 

Jetzt wird's spannend: An der bewegten Mimik der Fahrer kann man als Zuschauer den Stand der Erregung erahnen, die Mundbewegungen lassen auf wüste Beschimpfungen schließen. Das Sprichwort: "Der Klügere gibt nach" ist total veraltet. Heutzutage lässt ein Nachgeben nur auf Charakterschwäche schließen - Nervenstärke ist angesagt. Ganz coole Typen stellen den Motor ab, verschränken die Arme und tun so, als ginge sie das Ganze überhaupt nichts an. Oder - der Gipfel der Gelassenheit - steigen aus, zücken ihr Handy und telefonieren. Da es aber in unseren Zeiten jeder fürchterlich eilig hat (sonst ist man ja nicht "wichtig"), wird derjenige mit dem dringlichsten Termin unter Ausstoßen nicht druckreifer Flüche dann doch irgendwann den Rückwärtsgang einlegen. Und das ist sehr amüsant zu beobachten: 1. Variante: Es wird mit Höchstgeschwindigkeit zurückgesetzt und mit quietschenden Reifen in die nächste Ausweichmöglichkeit manövriert, 2. Variante: Der Fahrer ist zwar (hoffentlich) im Besitz einer Fahrerlaubnis, hat aber die Übungsstunden fürs Rückwärtsfahren immer geschwänzt... Wenn die Kontrahenten dann endlich aneinander vorbei sind, treten beide aufs Gaspedal - und spätestens dann sollten Sie sich als Zuschauer in Sicherheit bringen. Auf jeden Fall hat jeder seinen Spaß gehabt.

Rita Maikowski

März 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis