Orte und Plätze in Schöneberg/Steglitz
Der "Autofahrerbahnhof"
In wenigen Tagen geht der Bahnhof Südkreuz ans Netz

Kräne, Bauschutt, Absperrgitter und kaum zu überschauende Umleitungen: die letzten Bauarbeiten am Bahnhof Papestraße laufen auf Hochtouren. Am 28. Mai ist es dann schließlich soweit. Pünktlich zum Fahrplanwechsel der Deutschen Bahn werden Berlins neue Fern- und Regionalbahnhöfe eröffnet. Neben dem Lehrter Bahnhof und dem Bahnhof Gesundbrunnen geht dann auch das Südkreuz mit zwei zusätzlichen Bahnsteigen für Fern- und Regionalzüge ans Netz. Mit einer 22 Meter hohen und 183 Meter langen Glas-Stahlkonstruktion sowie zwei Parkhausfundamenten, die sich beiderseits des Ringbahnhofes über der Nord-Süd-Trasse erheben, wird das Südkreuz momentan zum zweitgrößten Fern- und Regionalbahnhof Berlins ausgebaut. Insgesamt 3.100 Quadratmeter Einzelhandelsfläche entstehen im Bahnhof selbst. Zieht man Vergleiche zu anderen Bahnhöfen, wie dem Lehrter Bahnhof (15.000 qm) oder dem Ostbahnhof (12.000 qm), erscheint das Marktangebot hier zunächst gering. Dennoch soll, nach den Plänen der DB Station & Service als Betreiberin des Bahnhofs, ein Supermarkt sowie ein Drogeriemarkt in den beiden Eingangshallen entstehen. Des Weiteren sind eine zweigeschossige Apotheke, Kioske, Geschenkartikelläden, ein Bäcker und kleinere gastronomische Einrichtungen auf dem Bahnhofsgelände geplant.

Wer jedoch konkret die Flächen mietet, darüber schweigt die Bahn im Moment. Auch die Baukosten des Bahnhofs bleiben vorerst ein Betriebsgeheimnis der Bahn - wurden zu Beginn der Bauarbeiten 2002 115 Millionen Euro veranschlagt, so vermutet der Fahrgastverband IGEB inzwischen eine Explosion der Baukosten.

Neben den Dimensionen des Bahnhofs Südkreuz boten aber auch Denkmalschutz und die Details der Bahnhofsgestaltung Stoff für zahlreiche Konflikte zwischen Bahn, Land, Bezirk und Fahrgastinitiativen. Die Bahnhofszugänge bildeten nur einen Streitpunkt innerhalb einer mehr als 12 Jahre währenden Debatte: Wenngleich die Bahn als Bauträgerin auf behindertengerechte Zugänge achtete, so müssen Fahrgäste auch in Zukunft einen umständlichen Weg über den Ringbahnsteig auf der ersten Geschossebene zu den unten liegenden Fernbahngleisen nehmen. An einer Fußgängerunterführung, wie von Anwohnern und Bürgerinitiativen gefordert, hätte sich das Land Berlin beteiligen müssen - der Senat lehnte ab.

Für einen öffentlichen Eklat aber sorgte die Bahn im Sommer des vergangenen Jahres mit der Ankündigung, auf den Bau der Bahnhofsvorplätze zu verzichten und stattdessen lediglich für Feuerwehr- und Parkhauszufahrt zu sorgen. Das Land, so die Forderung der Bahn, sollte die Finanzierung der Bahnhofsvorplätze tragen. Das Bundesverkehrsministerium intervenierte schließlich in die Auseinandersetzung und sicherte die Finanzierung der notwendigen Vorplätze aus Bundesmitteln zu.

Nach wie vor ungesichert aber ist die Finanzierung der beiden Parkhäuser nördlich und südlich der Ringbahn mit insgesamt 2.550 Stellflächen. Der Bahnhof Südkreuz sollte gezielt Autofahrer aus Berlin und dem südlichen Umland anziehen, so zumindest die Absicht der Bahnhofsplaner. Hierfür errechnete die Bahn einen Bedarf von etwa 2.600 Stellplätzen. Den optimistischen Verkehrsprognosen zum Trotz, blieb die Suche nach Investoren, welche die beiden Parkhäuser finanzieren, errichten und betreiben sollten, bis dato erfolglos. Zwei Ausschreibungen scheiterten bereits. Im Moment werden lediglich die Parkhausfundamente, welche gleichzeitig das Dach der Fern-, Regional- und S-Bahnsteige in Nord-Süd-Richtung darstellen, errichtet. Bis zur Eröffnung des Bahnhofs entstehen auf dem Fundament des südlichen Parkhauses 200 provisorische Stellplätze. An ihrem Konzept für einen "Autofahrerbahnhof", wie die verantwortlichen Planer der Bahn den Bahnhof Papestraße nennen, hält die Bahn aber trotz aller Kritik fest. Einen dritten Anlauf will die DB Station & Service noch in diesem Jahr starten - danach müsse man weitersehen, so eine Vertreterin der Bahn. Die Orientierung am Autoverkehr seitens der Deutschen Bahn AG blieb eine der tragenden und zugleich umstrittensten Elemente des neuen Fernbahnhofs.
Bereits im Vorfeld der Bauarbeiten aber zeigte sich die Deutsche Bahn als wenig kompromissbereit. Kam der Bahnhof im Südosten Schönebergs bereits vor der Wiedervereinigung als zukünftiger Entlastungsbahnhof ins Gespräch, so überraschte die Bahn mit stets neuen Planungen, die sie ohne vorherige Absprache mit den Bezirksverwaltungen von Tempelhof und Schöneberg und dem Berliner Senat, vor allem aber ohne vorangehende öffentliche Ausschreibungen, vorlegte. Auch im Genehmigungsverfahren verzichteten Bauträger und das Eisenbahnbundesamt als Genehmigungsbehörde weitgehend auf eine Beteiligung der Öffentlichkeit.

Um tatsächlich eine öffentliche Debatte und eine Beteiligung von Anwohnern, Naturschutz- und Fahrgastverbänden anzustrengen, rief die Bürgerinitiative Westtangente im Jahr 1996 einen "Runden Tisch" ins Leben. In diesem Bürgerforum sollten insbesondere Aspekte des Umweltschutzes, eine kundenfreundliche Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und die Berücksichtigung von Anwohnerinteressen erörtert werden.

In den gemeinsamen Veranstaltungen mit Vertretern von Land, Bezirk und Anwohnern hielt sich die Verhandlungsbereitschaft der Bahn jedoch in Grenzen: "Die haben sich nicht stören lassen", erinnert sich Norbert Rheinlaender von der Bürgerinitiative Westtangente: "Das war nur Show - Befriedigung für ein paar Nörgler." Tatsächlich waren es nicht etwa die Proteste von Anwohnern und Umweltschützern, die den Bau des Bahnhofs um fast zehn Jahre hinauszögerten. Die Pläne der Bahn mit Multiplexkino, einem 100 Meter hohen Hotelturm, angeschlossener Shoppingmall und Fitnesscenter eine "Erlebniswelt mit Gleisanschluss" zu schaffen, erwiesen sich als finanziell undurchführbar und scheiterten. Die Bahn hatte sich verkalkuliert und den Bahnhofsbau dreimal, zuletzt im Jahr 2000, auf Eis gelegt.

Ob sich die inzwischen abgespeckte Version des Bahnhofs Südkreuz für die Bahn rentiert bleibt abzuwarten. Bei einem prognostizierten Fahrgastaufkommen von 200.000 Reisenden pro Tag ist jedoch Skepsis angebracht.

Der Bau der beiden Parkhäuser wird aber auch in Zukunft für genügend Konfliktpotential sorgen.

Sebastian Gülde

Mai 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis