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Zukunft der Hauptschule?

Nach dem Hilferuf des Lehrerkollegiums der Rütli Hauptschule in Neukölln ist dies im Moment die häufigste Frage, die im Zusammenhang mit Bildung und Integration diskutiert wird.
Beantwortet werden kann dies nicht, ohne insgesamt zu fragen, ob das gegliederte Schulsystem in Deutschland eine Zukunft hat. Nicht nur bei der PISA Studie war festgestellt worden, dass nirgendwo der Bildungserfolg so stark vom Elternhaus abhängt wie bei uns.

Allein aus dieser Tatsache lässt sich leicht ableiten, welche Schüler die Hauptschule besuchen. Nur ca. 20 % eines Jahrgangs bekommen von der Grundschule eine Hauptschulempfehlung. In der Mehrzahl Kinder, die nicht nur in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind, sondern auch aus sozial schwachen und problematischen Familien kommen. Dazu gehören auch Schüler mit Migrationshintergrund, die neben dem sozial schwachen Status ihrer Familie auch unzureichende Sprachkenntnisse haben. Den Schülern ist ihre schwierige Ausgangslage bewusst, sie wissen um die geringen Chancen, die sie auf dem Arbeitsmarkt mit einem Hauptschulabschluss haben. Das Selbstbewusstsein ist häufig gering und die Motivation zur Leistungsbereitschaft kaum vorhanden. Hinzu kommen bei den migrantischen Schülern die große Diskrepanz zwischen der Erziehung im Elternhaus und der in der Schule. Ist der Junge arabischer Herkunft zu Hause allein schon wegen seines Geschlechts eine Autorität für die weiblichen Familienmitglieder, so erfährt er in der Schule, dass dort nur seine Leistung zählt und von ihm ein angepasstes Verhalten erwartet wird.

Bemühungen zur Integration haben diese Familien bisher nicht oder kaum erreicht. Hohe Langzeitarbeitslosigkeit und geringer Bildungsstand erschweren den Familien den Zugang zur Gesellschaft und fördern einen allgemeinen Werteverlust oder den Rückzug in eine ultrakonservative Tradition ihres Herkunftslandes. Viele sehen sich auch in der Erziehung ihrer Kinder überfordert oder geben diese Aufgabe völlig an die Schule ab.

Zieht man den beschriebenen Hintergrund der Schüler in den Hauptschulen in die Betrachtung mit ein, wird verständlich, warum der Unterricht an dieser Schulform besonders schwer ist. Einige Hauptschulen, wie das Lehrerkollegium an der Werner-Stefan-Oberschule in Tempelhof, haben ein pädagogisches Konzept entwickelt, das das Selbstbewusstsein der Schüler stärkt, die Empathie und die allgemeine Akzeptanz der Regeln in der Schule fördert. Es ist sehr viel Energie notwendig, bei Regelverstößen immer sofort und konsequent zu handeln. Aber nur so kann eine Atmosphäre geschaffen werden, in der sich Schüler und Lehrer wohl fühlen und das Lernen gelingen lässt. Nicht jeder Hauptschule ist es möglich, diesen Weg zu gehen.

Lehrer von Hauptschulen müssen sehr viel mehr Erziehungsaufgaben wahrnehmen als ihre Kollegen in den Realschulen oder Gymnasien. Diesen gibt unser Schulsystem die Möglichkeit, zu schwierige Schüler nach "unten" weiterzureichen. Nur die Hauptschule muss alle Schüler nehmen, auch die, die bereits eine kriminelle Laufbahn eingeschlagen haben.

Können Schüler trotz aller Probleme motiviert und vielleicht sogar erfolgreich zum mittleren Schulabschluss geführt werden, ist es für sie erheblich schwieriger, mit dem Zeugnis einer Hauptschule einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Die Verantwortung der Wirtschaft für das Nachziehen von Facharbeiterkräften ist nur sehr marginal ausgeprägt. Die demoskopische Entwicklung prognostiziert in wenigen Jahren zwar einen erheblichen Mangel in Deutschland an Facharbeitern, aber bis jetzt hat dies noch zu keinem Umdenken geführt.

Wir werden nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland von dem gegliederten Schulsystem wegkommen müssen, wenn wir eingesehen haben, dass wir es uns nicht leisten können, dass Schüler ohne Abschluss die Schule verlassen oder nicht einen ihren Fähigkeiten entsprechenden Schulabschluss erwerben. Viele Studien haben bereits nachgewiesen, dass eine längere gemeinsame Lernzeit in heterogenen Leistungsgruppen die Schwachen und die Starken besser fördern. Soziale Probleme werden entzerrt und das individuellen Lernen zu einem deutlichen Schwerpunkt.

Jedoch allein nur die gemeinsame Schulzeit zu verlängern, wird nicht die vielfältigen Probleme, mit der heute die Hauptschule kämpft, lösen. Was wir brauchen, ist eine starke frühe Förderung des einzelnen Kindes. Eine bewusste Schwerpunktsetzung der Bildung in Kindertagesstätte und Grundschule, damit auch Kinder, die bisher kaum Chancen haben, den Abwärts-spiralen ihrer Familien entkommen können.

Elke Ahlhoff

Mai 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis