Orte und Plätze in Schöneberg
Napoleon ante portas

Ja, damals gab es noch nicht viel zu sehen: Eine "Chaussee", also ein befestigter Weg, führte von Berlin nach Potsdam zuerst durch Schöneberg, ein Dorf mit Gehöften rechts und links. Nördlich des heutigen Kaiser-Wilhelm-Platzes waren böhmische Glaubensflüchtlinge angesiedelt worden, südlich davon war der "harte Kern" des Dorfs. Der königliche Botanische Garten auf dem Gelände des heutigen Kleistparks war das Bemerkenswerteste auf dieser Strecke.

Draußen in der Welt wurde die Situation bedrohlich: Napoleon machte sich auf, die Welt zu erobern. Preußen war zu dieser Zeit nicht mehr das militärisch starke Land des 18. Jahrhunderts unter dem Soldatenkönig und dem "Alten Fritz". Auch innerhalb des Staatswesens wurde nicht mehr nach dem neuesten Stand der europäischen Ideen regiert und verwaltet, so gab es immer noch die Leibeigenschaft der Bauern und Beschränkungen für Nicht-adlige. Reformen waren überfällig.

Preußen wurde leichte Beute für Napoleon. Bei der Schlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 standen "nur" 38 000 preußische Soldaten der Übermacht von 56 000 Mann auf der französischen Seite gegenüber, gewaltig für die damalige Zeit. Die Preußen wurden vernichtend geschlagen, das Land besetzt. Napoleon zog triumphierend am 27.10.1806 durchs Brandenburger Tor in Berlin ein und schickte die Quadriga, neben vielen anderen Kunstwerken, gleich nach Paris. König Friedrich Wilhelm III. ging mit seinem Hofstaat ins Exil nach Memel. Sehr bekannt in diesem Zusammenhang ist das Treffen von Königin Luise mit dem französischen Kaiser, mehrfach verfilmt und heiß diskutiert bezüglich der Frage, ob sie Erleichterungen für den unter der Besatzung ächzenden Bürger erreichen konnte.

Die Berliner mussten Opfer bringen, es formierte sich der Widerstand. Der kam aus den höchsten Reihen in Preußen. Die Befreiung von der französischen Besatzung war das Ziel. Nun kommen Namen ins Spiel, die Ihnen als Berlinern tagtäglich begegnen, ohne an deren Namensgeber bewusst zu denken und ihrer Leistung zu gedenken. Die Stein-Hardenbergschen Reformen von 1807-1813 beinhalteten eine neue Städteordnung, die Bauernbefreiung und Gewerbefreiheit, die Heeresreform und die Erneuerung des Bildungswesens. Diese Reformen sollten den Untertan motivieren, sich für sein Land einzusetzen und den Krieg nicht als gottgegebene Auseinandersetzung zwischen Herrschern zu verstehen.

In Militärkreisen wurden insgeheim die Befreiungskriege vorbereitet. Maßgeblich beteiligt waren: Blücher, Gneisenau, Yorck (jetzt fahren Sie im Geist durch Kreuzberg), Bülow, Kleist, Tauentzien (in Schöneberg geht´s weiter!). Wer waren diese Männer?

Friedrich-Wilhelm Graf Bülow von Dennewitz (1755-1816) brachte es bis zum General, denn er hatte erheblichen Anteil an den Siegen über die Franzosen bei Großbeeren und Dennewitz im Jahr 1813. Als Auszeichnung durfte er sich fortan "von Dennewitz" nennen.

Friedrich Heinrich Ferdinand Emil Graf Kleist von Nollendorf (1762-1823). Zunächst Generalleutnant, befehligte Kleist einen russisch-preußischen Verband und danach ein preußisches Korps. Er entschied mit seinen Truppen die Schlacht bei Kulm und Nollendorf zugunsten der Preußen. Kleist wurde dafür 1814 zum Grafen von Nollendorf ernannt. Er wurde 1821 als Generalfeldmarschall aus dem Militärdienst verabschiedet und in den Staatsrat berufen.

Und der dritte große Name in Schöneberg: Friedrich Bogislav Emanuel Graf Tauentzien von Wittenberg (1760-1824).1806 geriet er in französische Gefangenschaft, konnte 1808 aber freikommen. Als Kommandierender General und Korpskommandeur trug er zu den Siegen bei Dennewitz und Wittenberg bei. Auch er erhielt ein entsprechendes Adelsprädikat: "von Wittenberg". Nach dem Krieg wurde er Kommandierender General in den Marken und Pommern.

Die Gürtelstraße in Berlin war nach dem Hobrechtschen Bebauungsplan für Berlin von 1862 -ähnlich wie Straßen in Wien oder Paris - als Boulevard rund um den expandierenden Stadtkern Berlins angelegt worden. Der Teil in Charlottenburg, Schöneberg und Kreuzberg wurde gleich 1864 aufgrund eines königlichen Erlasses und einer Kabinettsorder umbenannt: Die Straße selbst und die Plätze an der Wegführung sollten die Namen von Schlachten und Militärführern der Befreiungskriege erhalten. So entstand der "Generalszug". Mit einer kleinen Zäsur zwischen Schöneberg und Kreuzberg: Als die städtebauliche Neuordnung dieses Bereichs und das große Gedenken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann, war die Bahntrasse in Nord-Süd-Richtung schon da.


Magistratsschirm

Als die Hochbahn vierzig Jahre später errichtet wurde, ging die großzügige Wirkung eines Boulevards endgültig verloren. Aufgerissen wirkt der Mittelstreifen zwischen Wittenberg- und Nollendorfplatz. Nicht für zeitlich begrenzte Bauarbeiten, nein, es ist die dauerhafte Tunnelausfahrt der U-Bahn. Der Nollendorfplatz ist zerschnitten und nicht mehr als Schmuckplatz zu bezeichnen. Bleibt man in der Hochbahn, passiert man den durch eine Fernsehserie überregional bekannt gewordenen Bülow-Bogen. Die Streckenführung knickt am Dennewitzplatz nach Nordosten ab. Aus luftiger Höhe kann man sehen, wo die Parallelstrecke vom Nollendorfplatz weitergeht: Ein normales Wohnhaus in der Dennewitzstraße hat in der Mitte der Fassade ein "Loch". Aus diesem "Loch" kommt, von Experten als einmalig in der ganzen Welt bezeichnet, die U-Bahn heraus und fährt auf einer Hochbahntrasse weiter. Auch am Dennewitzplatz fuhr vor dem 2. Weltkrieg die Hochbahn durch ein Gebäude. Im Erdgeschoss befanden sich die "Akademischen Bierhallen", wo nach Zeitzeugenberichten das Bier bei jeder Erschütterung im Krug schwappte. Unter dem gesamten Hochbahnbereich - auch "Magistratsschirm" genannt, weil man vor Regen durch die landeseigene Konstruktion geschützt wird - passiert heute nichts, was das städtische Leben bereichert. Vielleicht ist dies ein Anstoß, über eine interessante Nutzung nachzudenken?

Der "Magistratsschirm" bildet die Achse des sog. "Schöneberger Nordens", einem Stadtviertel, das u. a. durch den Zuzug verschiedener Migrantengruppen über viele Jahrzehnte aus dem Gleichgewicht geriet. Ein Quartiersmanagement versucht, regulierend einzugreifen. Wenn sich ein Sozialpalast zum Pallasseum mausert, kann man auf eine positive Entwicklung schließen. Aber das, was man als "Rotlichtmilieu" bezeichnet, ist aus dieser Gegend wohl nicht wegzudenken. Die Nähe zum Potsdamer Platz und zum Kulturforum hat in den letzten Jahren positive Impulse ausgelöst: Für Kunst- und Kulturschaffende wird diese Gegend immer interessanter. Promidiskos am Übergang der durchgestylten zur noch vom "Zahn der Zeit" gezeichneten Stadt zeigen, dass sich hier für den Inspirationssuchenden ein spannender Ort entfaltet.


Dennewitzplatz

An manchen Ecken kann man sich in frühere Zeiten zurückversetzen, als das vornehm als "Souterrain" bezeichnete Kellergeschoss voll genutzt wurde, als Wohnung oder als Laden. Wohnblöcke mit mehreren Hinterhöfen gibt es aber nicht mehr. Durch die Sanierungsmaßnahmen in den neunzehnhundertsiebziger Jahren wurden ganze Straßenzüge umgestaltet und bieten sicherlich mehr Wohnqualität als vorher, aber so nette Kuriositäten wie Kuhställe auf dem Hof wurden an den Stadtrand verbannt. Auch der Betrieb des Ballhauses "Walterchen"
(= der Seelentröster) am Dennewitzplatz, wo die Damenwahl nicht die Ausnahme, sondern die Regel war, hat diese Zeit nicht überstanden. Die Lutherkirche dort wird seit 2002 von der "American Church in Berlin" genutzt, weil die Mitgliederzahl der Luther-Gemeinde im Kirchenkreis stetig zurückging. Die "ACB" dagegen ist eine überregionale Institution.

Am Wittenbergplatz, wo die U-Bahn unterirdisch fährt, spürt man nichts von den Problemen im Kiez. Das KaDeWe behauptet sich als Touristenmagnet. Ringsherum versucht man, den "Tauentzien" (man beachte die männliche Form) wieder attraktiv zu gestalten, damit das kaufkräftige Publikum nicht mehr zur Friedrichstraße abwandert.

Zurück zu Napoleon. Die französische Besatzung endete endgültig mit der Völkerschlacht bei Leipzig (Leipziger Platz!). Napoleons letzter Versuch, die Vorherrschaft in Europa zu erringen, in Waterloo (siehe auch Belle-Alliance-Platz, der heutige Mehringplatz). Danach war nichts wie vorher. Zwar versuchten die Herrschenden auf dem Wiener Kongress, die alte Ordnung wieder herzustellen, aber das aufgeklärte Bürgertum forderte nun mehr Rechte. Somit haben einige fortschrittliche Ideen aus Frankreich, die dort während der Revolution Ende des 18. Jahrhunderts entstanden, auf dem Weg über Krieg und Besatzung und dem damit verbundenen Druck zum Reformieren diesseits des Rheins gezündet. Es entstand eine Bewegung, die die Forderung nach einer konstitutionellen Monarchie immer lauter werden ließ, die zur Nationalversammlung in der Paulskirche führte und ... nein, für so ausführliche Darstellung der Deutschen Geschichte bis zur Reichsgründung ist hier kein Platz. Sie, verehrte Leser, sollen ja immer nur daran erinnert werden, dass die Spuren der Geschichte vor der Tür liegen.

Marina Naujoks

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung des Archiv Tempelhof-Schönebeg

November 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis