Zen Dôjô in Friedenau
Der Geschmack der Freiheit

Draußen ist die Rheinstraße, erfüllt von Lärm, Schmutz und Hektik. Drinnen, in einem Fabrikbau des 100 Jahre alten Industrie-komplexes der Goerz-Höfe, im fünften Stock direkt unter dem Dach, herrschen Ruhe, Sauberkeit und Gelassenheit. Dort wird im Zen-Dôjô Berlin Zazen geübt, eine buddhistische Meditationstechnik, die vor Jahrzehnten aus Japan in die Städte des Westens gelangte.

Das Dôjô in der Rheinstraße wurde 1982 gegründet. In Eigenarbeit renovierten die Mitglieder die Fabriketage unter dem Dach, richteten die Meditationshalle ein und den Teeraum, die Küche, die Bibliothek und das Büro. 1986 übernahm Tenryu Tenbreul die Leitung, ein veritabler Zen-Meister und Schüler des berühmten Meisters Taisen Deshimaru. Heute gehören 70 Mitglieder zum Dôjô, Männer und Frauen aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen und mit den verschiedensten Berufen: Lehrer und Studenten, Rechtsanwälte und Architekten, ein Schriftsteller, ein Synchronsprecher, ein Mathematiker. Viele sind zu Mönchen oder Nonnen ordiniert, haben jahrelange Erfahrung im Zazen und übernehmen Aufgaben und Verantwortung für die Gemeinde - ehrenamtlich, denn außer dem Meister gehen alle ihrem bürgerlichen Leben nach. Viele sind verheiratet, manche haben Kinder. Die meisten wohnen in Berlin, einige kommen aus Brandenburg und nehmen fürs Zazen lange Wege in Kauf.

Die Einhaltung des Zölibats gehört nicht zu den Pflichten der Mönche und Nonnen - auch der Meister ist verheiratet. Schon gar nicht gehört zu ihren Pflichten die Abkehr von der Welt. "Der Geist des Zen führt in den Alltag und zum Mitmenschen", sagt Norbert Roth, der den Dôjô 1982 mit aufbaute. Und er sagt noch etwas: "Zen verlangt von seinen Anhängern eine gewisse Disziplin und die Beachtung von Regeln, aber kein religiöses Bekenntnis. Zazen ist kein philosophisches System, es ist ein Weg der praktischen Übung." Angehörige aller Religionen und Konfessionslose sind im Dôjô willkommen. Meister Tenryu Tenbreul benutzt bei seinen Unterweisungen Bilder aus verschiedenen Religionen. Einige berühmte Zen-Meister waren Christen.

Was nun ist Zazen? Zunächst ei-ne Meditation im Sitzen. Dabei bemüht sich der Meditierende um eine Haltung der puren, auf keinen Gegenstand gerichteten Aufmerksamkeit. Gedanken wer-den weder verdrängt noch ge-pflegt. Sie ziehen durchs Be-wusstsein wie Wolken über den Himmel, sie tauchen auf, sie sind da, sie verschwinden. Der Übende ist aufmerksam und absichtslos, er beobachtet und wird mit sich selbst vertraut. "Zazen führt den Menschen zum grundlegenden Gleichgewicht seiner Existenz zurück", sagte Taisen Deshi-maru. Es soll den Menschen von inneren und äußeren Zwängen befreien. Er soll werden, wer er immer war. "Triffst Du Buddha unterwegs, so töte ihn", lautet ein alter Zen-Spruch. Der Schüler, heißt das, soll nicht die Sätze des Meisters nachplappern, sondern eigene Erfahrungen machen. Die eigene Erfahrung genießt im Zen höchste Autorität. Der Meister kann seinen Schülern helfen, den Weg zu finden. Gehen müssen sie alleine. Die letzte Wahrheit ist nicht durch Worte mitteilbar.

9 Mal pro Woche wird im Dôjô Zazen geübt, meist früh am Morgen oder spät am Abend. Jeder entscheidet selbst, wann er teilnehmen möchte, keiner kann alle Termine wahrnehmen. Am Samstag nach dem Zazen treffen sich die Schüler im Teeraum mit dem Meister, stellen Fragen und lauschen seinen Ausführungen. Dann spricht Tenryu Tenbreul über das Böse und über die Langeweile, über Freiheit und Wahrheit und über Zazen. Über Wut und Hass sagt er zum Beispiel: "Beim Zazen merken wir, dass wir Wurzeln von Wut und Hass in uns tragen. Manchmal steigen diese Emotionen in uns auf, dann werden wir wütend und aggressiv. Beim Zazen können wir die Emotionen beobachten und lernen, damit umzugehen. Wenn sie uns im Alltag ergreifen, ist es zu spät. Dann richten unsere Handlungen Schaden an." Und über Zazen sagt er: "Zazen kann man nicht mental begreifen. Man muss es üben, und dann merkt man plötzlich: Hey, das ist es! Das geht auch mir noch so, nach all' den Jahren. Ich sitze beim Zazen, und plötzlich verstehe ich: Wow, das ist es! Das ist das Leben! Manchmal muss ich dann lachen vor Freude, weil das Leben so unbegreiflich ist!"

Ein Zauberer sprach zu einem Zen-Meister: "Ich kann übers Wasser gehen. Durch die Berührung meiner Hand mache ich Blinde sehend und Wasser zu Wein. Und was kannst Du?" "Ich esse, wenn ich hungrig bin, ich schlafe, wenn ich müde bin", sagte der Zen-Meister. "Das ist mein Wunder."

Michael Lang

Zen-Vereinigung Berlin
Rheinstraße 45, Aufgang C
12161 Berlin, Tel. 851 20 73
www.zen-vereinigung-berlin.de

Oktober 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis