Das alte Rias-Gebäude
Ein Kultur-Haus mit runden Ecken

Der bundesweite "Tag des offenen Denkmals" konzentrierte sich in diesem Jahr auf Rasen, Rosen und Rabatten, und so wurde auch Berlins reichliches Stadtgrün aus verschiedensten historischen Blickwinkeln umfänglich betrachtet. Doch ein Tag des Denkmals, der sich ausschließlich auf Rosen bettet, wäre gerade in einer Großstadt etwas zu beschaulich und zu ländlich. Zur Freude aller Gartenmuffel hatten wie jedes Jahr ebenso denkmalgeschützte Gebäude in Berlin geöffnet, die normalerweise - vom Wachschutz streng kontrolliert und durch Automatiktüren gut gesichert - für das neugierige und spontane Laufpublikum verschlossen bleiben.

Kein Wunder also, dass sich am 8. und 9. September eine große Zahl von Wissbegierigen im Foyer des DeutschlandRadios am Hans-Rosenthal-Platz einfand, um an einem Rundgang durch das ehemalige RIAS-Funkhaus teilzunehmen. Durch das Haus mit der runden Ecke führte der Journalist Adolf Stock, der sich ausgiebig mit dessen Architekturgeschichte beschäftigt hat. 1995 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt, weil dessen Geschichte für die Stadt Berlin im städtebaulichen und zugleich politischen Sinne ereignisreich und außergewöhnlich ist. Die Arbeiten am fünfgeschossigen Verwaltungsgebäude begannen 1938. Bauherr war die Bayerische Stickstoffwerke AG, die in enger Verflechtung mit den I.G. Farben zu den wichtigen Zulieferern der Rüstungsindustrie gehörte. Das war auch der Grund, weshalb die Bauarbeiten nach Kriegsbeginn 1939 mit Zustimmung der Generalbauinspektion für die Reichshauptstadt weitergeführt und 1941 beendet werden konnten. Architekt des Gebäudes war Walter Borchard (1887-1948), der als langjähriger Mitarbeiter im Architekturbüro Paul Mebes erste Erfahrungen mit der runden Ecklösung gemacht hatte - zum Beispiel 1914, bei der Konstruktion des Verwaltungsgebäudes der Nordstern Versicherung neben dem Schöneberger Rathaus.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatten die Alliierten sämtliches Betriebsvermögen der Bayerischen Stickstoffwerke beschlagnahmt, darunter den beschädigten Borchard-Bau. Als RIAS-Gebäude sollte er in den folgenden Jahrzehnten einen hohen Bekanntheitsgrad erlangen. Der "Rundfunk im amerikanischen Sektor" konnte erstmals am 5. September 1946 über Radio empfangen werden, war aber noch provisorisch im Fernmeldeamt 1 in der Schöneberger Winterfeldtstraße untergebracht, bis er schließlich am 6. Juni 1948 in den ehemaligen Verwaltungsbau der Stickstoffwerke einzog. Die Labor- und Büroräume hatte man zu diesem Zweck in Studios, Schneideräume und Redaktionszimmer umgebaut.

Dank der Betonstahlkonstruktion verfügt das Haus über keine tragenden Wände und kann jederzeit komplikationslos umgebaut werden. Anordnung und Größe der Räume lassen sich aufgrund der flexiblen Zwischenwände variieren. Als das Funkhaus in den neunziger Jahren für das digitale Zeitalter mit neuer Technik aufgerüstet wurde, ließ der formbare Grundriss des Baus größere Ein- und Umbauten ohne Schwierigkeit zu. Das Haus ist winkelförmig, von der Mittelachse gehen links und rechts die Gebäudeflügel mit den langen Fluren ab, die zu den Studios und Redaktionsräumen führen.

Charakteristisch für das Haus ist aber nicht nur seine runde Ecke, sondern ebenso das an die Mittelachse angebaute ovale Treppenhaus. Dieser separate Teil des Gebäudes befindet sich fast vollständig im Originalzustand. Der spiralförmige Aufgang mit Eisengeländer und die großen, schmalen Fenster auf jedem Absatz schaffen eine nach allen Richtungen offene und transparente Atmosphäre und bieten den Auf- und Absteigenden je nach Standort unverwechselbare geometrische Ansichten und an den Wänden vollendete Spiele von Licht und Schatten. Die ovale Gestaltung des Treppenaufganges steht in enger Tradition mit der klassischen Moderne und ist vergleichbar mit dem von Erich Mendelsohn entworfenen Verwaltungsgebäude der IG Metall (1930) in der Alten Jakobstraße.

Bei dem Rundgang durch die Flure und Studios trafen die Besucher auf einen weiteren Ort, dessen Einrichtung noch weitgehend im Original erhalten geblieben ist. Allerdings aus den 50er Jahren, als der RIAS noch von den USA geführt wurde und eine Unterabteilung der United States Information Agency war. Im Studio 5 des Rundfunkhauses scheint auf den ersten Blick die Zeit stehen geblieben zu sein. Die hölzerne Wandvertäfelung, Beleuchtung, Sitzbänke, Schreibtisch, Stühle und sogar der Kleiderständer stammen von 1947 und wurden seinerzeit als Teil der gesamten Möblierung per Schiff aus den USA eingeführt.

Auch wenn die Studiotechnik auf dem neuesten Stand ist und die produzierten Sendungen zeitgemäß sind, im Studio 5 bleibt der Gründergeist gegenwärtig. Er erinnert an die Zeit des Kalten Krieges, als der damals stärkste Rundfunksender in Europa mit seinem Mischprogramm von Informationen und Musik auf dem gesamten Territorium der DDR empfangen werden konnte, aber als "Feindsender" von der Gegenseite massiv gestört wurde. Heute ist das ehemalige Funkhaus der Sitz des Senders Deutschlandradio, einem Zusammenschluss von Deutschlandsender Kultur, RIAS und Deutschlandfunk. Im Kern konzentriert sich der Sender immer noch auf Information und Kultur, wobei sein überregionales Programm mit Hörspielen, Features, Kinderfunk, Livekonzerten und aktuellen Berichten die breite Kulturszene aller Bundesländer erfasst. Im Innenhof des alten Hauses entsteht derzeit ein modernes Hörspielgebäude, und es ist natürlich wünschenswert, dass diese offene Seite des Funkhauses von großen und kleinen Hörspielhörern leichter und öfter besucht werden kann, denn runde Ecken er-innern zuweilen auch an uneinnehmbare Burgen.

Am Ende des Rundgangs spuckte das Haus seine neugierigen Besucher natürlich wieder komplett aus. Diese liefen dann ohne Zögern direkt auf das ehemalige "Toni am Rias" am Rudolph-Wilde-Platz zu, das längst "Pusteblume" heißt und weniger seine früheren Stammgäste vom RIAS, sondern viel mehr die alten und jungen Eroberer vom Spielplatz nebenan im Visier hat. Und so endete dieser "Tag des offenen Denkmals" doch noch zwischen Rasen und Rabatten. Mit dem Cappucchino in der Hand und der runden Ecke im Blick konnte noch einmal an Walter Borchard gedacht werden. Der Architekt hatte sich seinerzeit vor allem im sozialen Wohnungsbau einen Namen gemacht. Unter anderen entwarf er 1930 die "Zeppelin-Häuser" in der Prenzlauer Allee, bei denen die runden Dächer aus vier Zentimeter dicken Zylinder-schalen bestehen. Borchard starb am 1. Oktober 1948 und wurde acht Tage später auf dem Alten Matthäus-Kirchhof in der Großgörschenstraße beigesetzt.

Simone Tippach-Schneider

Oktober 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis