Orte und Plätze in Schöneberg
Ein-Topf für alle - Die Einküchenhäuser

Das Mammut ist erlegt, und was passiert nun? Es wird zerteilt, zerhackt, zerkleinert. Geschnitten, geklopft und gegart. Sie merken, hier ist von Essenszubereitung die Rede. Das geschieht seit Urzeiten mehrmals am Tag und kann -zweckmäßigerweise- auch in der Gemeinschaft geschehen. Hilfsmittel stehen dabei zur Verfügung: So hat die industrielle Entwicklung im neunzehnten Jahrhundert den Elektroherd hervorgebracht, später den Gasherd. Der Geschirrspüler war eine Erfindung einer Politikergattin, die nach Festbanketten ihr gutes Geschirr nicht dem Küchen-personal überlassen wollte, weil zu oft Schadensfälle entstanden.

Die Küche entwickelte sich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zum durchorganisierten Arbeitsplatz, so dass sich irgendwann die Frage erhob, warum der Produktionsausstoß sich nicht optimieren ließe und - eine Frage, die immer aktuell bleibt, solange die Herstellung und der Unterhalt von Räumen hohe Kosten verursacht - in einem Mietswohnhaus jede Wohnung eine Küche braucht. Man kalkulierte damals mit 18 Mark pro Kubikmeter umbauten Raumes und kam bei Einsparung der Küchen und erforderlichen Nebenräume zur Vorratshaltung und Unterbringung der Köchin auf enorme Summen. Hinzu kam, dass Kochen eine personalintensive Leistung war, denn diese Tätigkeit wurde in den besseren Kreisen von Dienstboten erledigt.

1909 war die Zeit reif für neue Wege: Das Einküchenhaus wurde als fortschrittliches Wohnmodell ausprobiert. Es war ein Beitrag zum Reformwohnungsbau, der in dieser Zeit heiß diskutiert wurde. Alice Salomon (1872-1948) und Lily Braun (1865-1916), die großen Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit, machten sich in mehreren Publikationen ihre Gedanken zu dem Thema. Das erste Einküchenhaus in Europa entstand schon 1907 in Kopenhagen. In Berlin haben die Architekten Albert Geßner (1868-1953) und Hermann Muthesius (1861-1927) dann diese fortschrittlichen Projekte ausgeführt. Aber auch Kurt Berndt, dem wir zahlreiche Gewerbehöfe in Kreuzberg und -bekanntestes Beispiel- die Hackeschen Höfe verdanken, hatte baureife Pläne in der Schublade.

Hier in Friedenau ist in der Wilhelmshöher Straße 17-19 ein solches Haus errichtet worden. Aber auch in Lichterfelde (Reichensteiner Weg / Unter den Eichen) gab es ein solches Beispiel. Gehobener Standard in allen Geschossen, aber eben keine Küchen in den Wohnungen. Gekocht wurde im Keller, in einer Zentralküche mit modernster Ausstattung. Verteilt wurden die Speisen nicht nur über Speiseaufzüge in vertikaler Richtung, sondern über eine Mini-Gleisanlage auch unter dem gesamten Block, bis sie zum richtigen Aufzug gelangten. Das erinnert an das Märchen von den Heinzelmännchen...

Das Experiment scheiterte. In den zwanziger Jahren ging die Wohnungsreformgesellschaft in Konkurs. Jede Wohnung erhielt nachträglich eine eigene Küche. Verschiedene Faktoren führten dazu, dass dieses Modell sich nicht dauerhaft etablieren konnte: Kosten für das Personal entstanden auch hier, aber es gab keine vorzeigbaren Dienstboten mehr, die seinerzeit als Statussymbol galten. Nach dem Ersten Weltkrieg war in vielen Familien das Geld knapp, sodass dieser Service nicht mehr finanziert werden konnte. Hinzu kam, dass der Tagesablauf sich nicht mehr so starr gliederte wie zur Kaiserzeit und Mahlzeiten immer seltener zu festen Zeiten eingenommen werden.

Und schließlich ist das Kochen nicht nur ein technischer Vorgang, sondern hat auch eine soziale Funktion. Ganz besonders, wenn Kinder in der Familie aufwachsen. Und ist nicht ein Familienrezept ein Stück Kultur und Tradition? Könnten Sie sich vorstellen, dass Ihre Mahlzeiten aus einer Art Hotelküche kommen? Fragen, die der Einzelne entsprechend seiner Lebenssituation bejahen oder verneinen wird.

Marina Naujoks

September 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis