Seit über 10 Jahren finden Wohnungslose im Haus am Alboinplatz ein Zuhause
Eine Oase im Paradies

In Berlin liegt das Paradies am Alboinplatz. Wenn Sie's nicht glauben, fragen Sie Frau Hinze*, sie kennt sich aus, sie ist dort zu Haus' - im Haus am Alboinplatz, wo der Bezirk Tempelhof-Schöneberg Wohnungen bereitstellt für ältere Wohnungslose, denen die Bewältigung des Alltags schwer fällt. Man sieht dem Haus das Paradies nicht an: Ein beigefarbener Wohnblock aus der Nachkriegszeit, drei niedrige Stockwerke, flaches Dach. Lange Flure, von denen dottergelbe Türen abgehen. 33 kleine Apartments: Diele, Zimmer mit Küchenzeile und Balkon, Klo mit Waschbecken. Duschen auf dem Flur, nur im Erdgeschoss haben die Apartments behindertenfreundliche Bäder.

Wer in diesem Haus das Paradies erkennt, hat oft schon einen Vorgeschmack von der Hölle erlebt. Viele Bewohner waren lange Jahre wohnungslos. Einige haben im Sommer auf Parkbänken geschlafen und im Winter in Notunterkünften. Manche lebten in Obdachlosenheimen und schmuddeligen Pensionen, oft in Mehrbettzimmern unter schwierigsten Bedingungen. Der Verlust der Wohnung steht oft am Ende einer Kette von Schicksalsschlägen. Wer ohne Wohnung ist, hat häufig keine Arbeit und keine Familie, kein Geld, keine Freunde und kein Selbstvertrauen. Dafür hat er Krankheiten, Schulden oder ein Alkoholproblem.

Herr Fröhlich ist Geschäftsführer beim Internationalen Bund, der das Haus am Alboinplatz im Auftrag des Bezirks betreut. Früher, erklärt er, haben die Kommunen Wohnungslose in Pensionen und Wohnheimen untergebracht und sie dort sich selbst überlassen. Heute weiß man, dass unbetreute Unterbringung die Wohnungslosigkeit eher zementiert als beseitigt. Wer alles verloren hat, braucht mehr als ein Bett für die Nacht, um ins Leben zurückzufinden. Er braucht umfassende Unterstützung und Hilfe zur Selbsthilfe.

"Man kann einem Menschen nicht den Alkohol wegnehmen, wenn er außer dem Alkohol nichts mehr hat", sagt Herr Fröhlich. Abstinenz gehört nicht zu den Aufnahmekriterien des Hauses. Wer einziehen möchte, muss aber die Bereitschaft zur Einhaltung von Regeln und Interesse an den Angeboten der Betreuer mitbringen, und er muss mindestens 45 Jahre alt sein. Das Durchschnittsalter der Bewohner liegt bei 65 Jahren, die ältesten sind weit über 80. 2 SozialpädagogInnen beraten die Bewohner in Geldfragen und bei Überschuldung, helfen beim Umgang mit Ämtern und Behörden, vermitteln Haushaltshilfen, sichern die medizinische und pflegerische Grundversorgung und unterstützen bei Suchtproblemen. Eine Ergotherapeutin organisiert gemeinsame Mahlzeiten, Ausflüge und Reisen und vermittelt Fertigkeiten im Kochen und Backen und in der Führung des Haushalts. Sie leitet einen Gymnastikkurs und regelt die Bewirtschaftung des Nutzgartens.

Ein Mittwochnachmittag im Garten hinter dem Haus an einem heißen Tag im Juli. Zwischen Tannen und Birken steht auf dem Rasen ein Zeltling und darunter das Kuchenbüfett. Plaudernd sitzen Menschen unter Sonnenschirmen an Campingtischen - Männer zumeist, nur 4 Frauen wohnen hier. Wohnungslosigkeit ist Männersache, zu etwa 80%. Im wöchentlichen Wechsel treffen sich die Bewohner mittwochs zu Kaffee und Kuchen oder machen einen Ausflug in die Stadt. Heute gibt es Pflaumenkuchen vom Blech und eine Obsttorte mit Johannisbeeren, alles selbst gebacken, dazu Sahne und Kaffee, Wasser und Säfte. Kein Bier. Alkohol im Garten ist Tabu. Wer Alkohol mag, darf in der Wohnung trinken, nicht aber in Garten und Gemeinschaftsräumen. Früher, als Bier im Garten erlaubt war, führte das oft zu Lärm und Streit. Nach langen Diskussionen stimmten die Bewohner vor einigen Jahren ab und erklärten den Garten zur alkoholfreien Zone.

Bevor Herr Wittig* zum Alboinplatz kam, lebte er in einem unbetreuten Wohnheim in der Egelingzeile. "Eigentlich müsste das Eckeligzeile heißen", sagt er. Die Wohnungslosen waren in 4-Bett-Zimmern untergebracht. Es wurde viel getrunken, und es gab Streit, Prügeleien und Diebstähle. "Hier ist es viel besser", sagt Herr Wittig, "hier hat man ein richtiges Zuhause".
Frau Hinze bewohnte zuerst ein Zimmer in der Clearingstelle im Haus Rembrandtstraße. Dort bringt der Internationale Bund Wohnungslose unter, um ihren Hilfebedarf zu ermitteln und geeignete Wohnmöglichkeiten zu finden. Sie war zufrieden und wollte nicht mehr fort. Die Leiterin drängte zum Umzug an den Alboinplatz. Heute ist Frau Hinze ihr dankbar dafür: "Hier hab' ich 'ne richtige Wohnung und 'nen Balkon. Die Leute sind nett, und wir ham 'nen schönen Garten." Frau Hinze nippt an ihrem Kaffee. "Das hier is' 'ne Oase im Paradies!", sagt sie dann.

Michael Lang

Haus am Alboinplatz
Alboinplatz 17-18
12105 Berlin
Tel.: 75 60 67 49

* Namen geändert

September 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis