Zur Hausgeschichte der Gruppe REPLAUS
"Lasst es, es ist umsonst!"

Umsonst war nichts und einfach schon gar nicht. Ein Blick auf das ruinierte Eckhaus Handjerystraße 94 / Perelsplatz 10 schien die Meinung der Anwohner zu bestätigen: "Abreißen und neu bauen!" Doch da schaufelten sich einige Visionäre bereits an Wochenenden und Feierabenden bis zu den Grundsteinen des Fundamentes durch, um das Mauerwerk trocken zu legen. Nach starkem Regen stand das Wasser im Keller bis zur Schulterhöhe. Schwamm und Pilzbefall veranlassten Fachleute zu vernichtenden Prognosen. Das nach einem Brandbombenschaden aufgesetzte erste Notdach war bei Sturm in den Hof gesegelt, unter dem erneuerten Notdach die Fenster des 4. Stockwerks teilweise vernagelt. Es fehlten Fußböden und Zimmerdecken im zentralen Teil der Etage. Gut, dass keiner der Gruppe wusste, welches Ausmaß die Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten von 1979 bis 1986 tatsächlich haben würden.
Die Wagemutigen nannten sich Ende der Siebziger Jahre REPLAUS; das stand für REnovierungPLanungAUSbau. Sie kannten sich aus Wohngemeinschaften und wünschten sich räumliche sowie kommunikative Verbesserungen ihrer Wohnverhältnisse in einer Zeit, als heruntergewirtschaftete Häuser und Leerstand, Treppenhäuser voller Mietinteressenten für eine miserable Wohnung oder Räumungen besetzter Häuser mit Knüppeleinsatz die angespannte Wohnsituation im Westen Berlins prägte. Selbsthilfegruppen handelten mit dem Senat "Befriedungsprogramme" aus, Gemeinschaftsprojekte entstanden. Für die Sanierung des ruinierten Hauses konnten die REPLAUS-Hansel nun über die senatseigene Beratungsgesellschaft für Stadterneuerung und Modernisierung eine großzügige finanzielle Förderung erhalten - nach dem Kauf des Hauses über eigene Bausparguthaben und mit unterschiedlich großen ideellen Anteilen an der Nutzfläche des Hauses. Vertraglich geregelt wurden Festlegungen in baulicher, eigentums- und mietrechtlicher sowie sozialer Hinsicht. So gibt es z. B. keinen Anspruch auf eine bestimmte Wohnung. Veränderte Lebenssituationen können so besser berücksichtigt werden.

Statiker und Architekten überwachten das Baugeschehen, Spezialisten übernahmen die Facharbeiten der verschiedenen Baugewerke. Trotzdem musste jeder REPLAUS-Hausel Woche für Woche vereinbarte Arbeitsstunden leisten. Alte Materialien wie Fenster wurden gerne wieder verwendet, teilweise aus Abrisshäusern.

Bauarbeiten erfreuen selten Nachbarn und Mieter. Schadensersatz klagte der Pächter des Restaurants "Michabelle" ein, weil der Vorgarten durch die Wühlarbeiten unbenutzbar war. Die von einem Rechtsanwalt empfohlenen Kündigungen der vorhandenen Mieter wegen Eigenbedarfs mobilisierten eine Bürgerinitiative im Kiez, ruinierten peinlicherweise stadtweit den Ruf durch eine Radiosendung und waren auch vor Gericht nicht durchsetzbar. Nun musste jeder einem der Mieter den Auszug schmackhaft machen, eine neue Wohnung auftreiben, diese renovieren, Umzugskosten und Schmiergeld zahlen. Es gab Planungsdefizite, Koordinierungsschwächen und Beziehungsstress. Scheinbar endlos stand das Baugerüst. Vieles hatte man nicht für möglich gehalten: die fremde Nase an der Fensterscheibe im 3. Stock, turnen im offenen Dachstuhl, bei Nacht, Sturm und Regen auf dem Dach Planen befestigen, fallende Deckentapeten und Wasser aus der Lampe, Taubenzecken in Marmeladengläsern sammeln, Tauben meucheln. Im Schutt des Dachgeschosses populierten Generationen davon; der Kot stank nicht nur zum Himmel.

100-jährig und wieder fein herausgeputzt stand das Haus im Stil der Gründerzeit 1991, ein Anlass zum Nachbarschafts-Sommer-Straßenfest. Seither informiert eine kleine Ausstellung im Haus über das Baugeschehen und Hausgeschichten. Die Visionen der REPLAUS-Hausel sind nun real und beeindruckend: gemeinschaftlich genutzte Räume wie Galerie, Wintergarten, Dachgarten, Gästezimmer, Sauna- und Fitnessbereich. Sehenswert ist die Fassade, das Treppenhaus mit Wandmalereien und feinen Tischlerarbeiten an Türen und Geländern, die Wände mit Mosaikarbeiten im begrünten Hof. Die Stimmung im Haus ist gut; es fehlt wohl nur noch der Bau des Turmes, um den 1891 ersucht wurde: "…dem Orte Friedenau zur Zierde … und derselbe auch von allen Seiten der freiliegenden Nachbarschaft weder Licht noch Luft wegnehmen dürfte." Da krähten noch die Hähne.

Annetta Mansfeld

Foto: Haus-Jubiläum Handjerystraße 94 / Perelsplatz 10

 

September 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis