Cafés in Schöneberg
Redetzky's Café

Wenn Axel Redetzky durch das große Fenster auf die vorbeieilenden Passanten der Hauptstraße schaut, lächelt er milde und freut sich, dass er im rechten Moment den Absprung geschafft hat. Er war jahrelang als Ingenieur die Karriereleiter in der Industrie immer höher geklettert, bis ihm das Tempo nicht mehr gefiel. "Jetzt habe ich auch Stress, aber ganz anderen", sagt er. Der Verdienst ist zwar erheblich geringer, von den vier Angestellten am Anfang musste er bis auf eine Küchenhilfe alle wieder entlassen, aber trotzdem: "Es lebt sich viel angenehmer", sagt er und sein freundliches Gesicht ist ganz entspannt.

Er hat gern Gäste. Stets bereit, ein wenig zu plaudern, verschwindet er sofort diskret im Hintergrund, wenn der Gast allein zu sein wünscht. Man spürt, dass man ruhig den ganzen Tag mit dem caféeigenen Lesestoff dasitzen könnte, ohne behelligt zu werden. Wiener Verhältnisse!
Das Café ist auch ganz danach. Die hohen cremeweißen Wände mit Stuck und einigen wenigen - dafür aber üppig vergoldeten - Bildern und Spiegeln kontrastieren angenehm mit der dunklen Bestuhlung und dem schönen Dielenboden. Vom Balkon über dem Tresen grüßt eine wilhelminische feine Dame mit Kind, ausstaffiert mit Originalkleidung. Diese Kaffeehausatmosphäre erwartet man dort, in der Hauptstraße Nr. 134, kurz hinter der Kreuzung an der Albertstraße, eigentlich gar nicht

Hier hat Axel Redetzky vor sieben Jahren eröffnet. In der Woche von 10 bis 20 Uhr, am Samstag bis 18 Uhr, empfängt er seine Gäste zu Frühstück, kleinen Speisen sowie Kaffee und Kuchen. Es gibt ein paar Spirituosen und kein Rauchverbot - ein Café für Erwachsene also. Die Besonderheit ist, dass man das schöne Ambiente für wenig Geld privat nutzen kann. "Wir stellen die Getränke, der Gast kann auf Wunsch sein eigenes Büffet mitbringen," sagt Herr Redetzky. Und dieser Service wird offenbar gern in Anspruch genommen, denn der ganze Aufräumstress am Tag danach entfällt.

Gelegentlich kommt jemand aus dem benachbarten Friseursalon vorbei, holt sich einen Kaffee oder macht nur so eine kleine Pause. "Meine früheren Kollegen kommen manchmal vorbei. Vor fünf Jahren wurde den Mittfünfzigern noch gekündigt. Heute möchten manche gern früher in Rente gehen, aber man lässt sie nicht, weil Ingenieure fehlen...", erzählt Herr Redetzky. Ständig unter Feuer seien die Leute jetzt, ohne Sekretärin, ständig erreichbar mit Handy und Emails, nein, das wäre nichts für ihn.
Und sichtlich zufrieden schaut Axel Redetzky aus dem Fenster und freut sich auf die nächsten Gäste.

Sanna v. Zedlitz.

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April 2007  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis