Etwas Steglitzer Ortsgeschichte
Die Treitschkestraße - ein Orientierungsproblem

Seit Jahren ist in Steglitz der Name eines umstrittenen Herrn Anlass wütender Auseinandersetzungen: Treitschke. Eine Straße und der angrenzende Park tragen diesen Namen. Es weist auf eine gewisse Bedeutung und Wertschätzung der genannten Person hin und kann durchaus als öffentliche Ehrung verstanden werden.
Wer war dieser Heinrich von Treitschke? Historiker sehen in dem 1896 verstorbenen deutschen Hochschullehrer, Journalisten und Parlamentarier einen seinerzeit liberalen Staatswissenschaftler, chauvinistischen Historiker sowie Klassiker der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts.

Zu großem Einfluss und Popularität verhalfen ihm seine überragenden sprachlichen Fähigkeiten. Er forderte persönliche Freiheit und Gleichheit und kämpfte gleichzeitig gegen demokratische Volksvertretungen, war Gegner von Sozialdemokratie und Sozialismus, war gegen Bismarck und für ihn. Spät wurde er Verfechter einer imperialistischen Weltmachtpolitik.
Er gilt als einer der führenden Antisemiten des vorletzten Jahrhunderts durch seine publizierte antisemitische Polemik sowie Fähigkeit, seine Ansichten allgemein zu popularisieren und selbst in akademischen Kreisen zu etablieren. Nach einer abnehmenden Phase seiner Bedeutung erhielt er im Nationalsozialismus wieder starke Beachtung und kann als einer der geistigen Väter für die Rechtfertigung massenhafter Gräueltaten an Juden in dieser Zeit gesehen werden.

Seit Jahren will eine Bürgerinitiative die öffentliche Ehrung des Herrn von Treitschke beenden und strebt die Umbenennung der Treitschkestraße in Kurt-Scharf-Straße an. Unterstützt durch SPD und Grüne des Bezirkes scheiterte in der letzten Legislaturperiode Januar 2003 der Antrag durch fehlende Zustimmung der CDU und FDP. Aktuell bildet die CDU nun mit den Grünen eine Zählgemeinschaft. Sie vereinbarten, künftig eine Arbeitsgruppe zur Geschichte des Bezirkes einzusetzen. Ein-bezogen wird ein Gesandter der Jüdischen Gemeinde. Der CDU-Kreisvorsitzende Michael Braun will eine intensive Auseinandersetzung Herrn Treitschke betreffend und "keine Entsorgung von Geschichte". Hinweisschilder zu Treitschke werden aufgestellt, Bürger befragt und zum Ende der Legislaturperiode wird Bilanz gezogen. Irmgard Franke-Dressler, die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Steglitz-Zehlendorf, spricht von einem "Prozess der offenen Geschichtsaufarbeitung" mit dem bereits formulierten Ziel: "Wir sind für eine Umbenennung". Eindeutig äußert sich der SPD-Politiker Dr. Michael Arndt: "Die Namen von Antisemiten haben im Berliner Straßenland nichts zu suchen, genauso wenig wie nationalsozialistische Symbole".
Im Sommer 2003 unterzeichneten 3.000 Besucher des Ökumenischen Kirchentages eine Resolution der Aktion Sühnezeichen, in der die Umbenennung der Treitschkestraße gefordert wurde. Klar war die Meinung der Pfarrerin der anliegenden Patmos-Gemeinde Gabriele Wuttig-Perkowski: "Die Hauptstadt Berlin leistet sich die Ehrung eines Mannes, der mit seinen nationalistischen und antisemitischen Äußerungen die Grundlagen für die Akzeptanz und Verbreitung des nationalsozialistischen Gedankengutes geschaffen hat." Jugendliche der Patmos-Gemeinde entwickelten auch die Ursprungs-Initiative zur Umbenennung der Treitschkestrasse. Statt Treitschke soll Ehre dem Bischof Kurt Scharf (1892-1990) erwiesen werden, der sich für eine solidarische und demokratische Gesellschaft sowie für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt in herausragender Weise einsetzte. Kurt Scharf "war wirklich wie ein Wunder vor unseren Augen." (Johannes Rau).

Ein Straßenschild dient der regionalen Orientierung und dokumentiert darüber hinaus öffentliches Bewusstsein, Zeitgeist sowie aktuelle Machtverhältnisse. Wie sich gewählte Christdemokraten der CDU-Fraktion in der BVV Steglitz-Zehlendorf orientieren, sollte auch künftig nachgefragt werden.

Annetta Mansfeld

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April 2007  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis